Folge #4
Wie sich Alltagsrassismus anfühlt
Der Coming of Age-Podcast der IKK classic.
Täglich machen Menschen in Deutschland rassistische Erfahrungen. Sie werden aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer vermeintlichen Religion oder anderer Vorurteile diskriminiert und ausgegrenzt. Rassismus zeigt sich in allen Lebensbereichen: in der Politik, bei der Job- und Wohnungssuche, in der Ausbildung, beim Arzt, in der Disko oder auf dem Fußballplatz.
Laut einer YouGov-Umfrage aus dem Juni 2020 ist eine Mehrheit von rund 62 Prozent der befragten Deutschen der Meinung, dass Rassismus in Deutschland in den sozialen Netzwerken vorkommt und dieser ein (sehr) großes Problem darstellt. Rund 60 Prozent entdecken rassistisches Verhalten im Bereich der Wohnungssuche und sehen dies problematisch. Dabei sind diese Beispiele keine Ausnahmen. Rassismus findet täglich statt.
Aber wie geht es Betroffenen? Wie fühlt es sich an, wegen der Herkunft seiner Eltern und Großeltern diskriminiert, dumm angeschaut, beleidigt oder verfolgt zu werden? Vivi Hähne hat sich darüber mit Raphaela Naomi Heinzel unterhalten. Die junge Frau ist Moderatorin in unterschiedlichen Redaktionen des Bayerischen Rundfunks, sie ist Podcasterin – und sie ist schwarz.
Raphaela Naomi Heinzel ist in einem kleinen Dorf in Bayern zur Welt gekommen, ihre (weiße) Mutter war alleinerziehend, der (schwarze) Vater hatte die Familie verlassen.
Nach einer Ausbildung zur Automobilkauffrau in Wasserburg geht sie nach München. Dort arbeitet sie als Podcasterin, freie Journalistin und Moderatorin für unterschiedliche Redaktionen des Bayerischen Rundfunks.
Bereits als Baby wurde sie mit rassistischen Äußerungen konfrontiert – bis heute hat sich das nicht geändert.
Mit Rassismus ist sie seit ihrer Geburt schon konfrontiert worden. Ihre Mutter, erzählt sie, sei mit ihr – damals noch als Baby im Kinderwagen – durchs Dorf gefahren. Eine ältere Frau kommt auf die beiden zu, schaut in den Kinderwagen und sagt: Mein Gott, was ist das denn für ein süßes ‚N-Baby‘. Dabei, sagt Raphaela, sei das vermutlich nicht einmal böse gemeint gewesen. „Trotzdem ist es natürlich rassistisch und es ist auch deshalb rassistisch, weil dieses Wort eben aus einer Zeit stammt, in der Menschen, die schwarz sind, von weißen Menschen unterdrückt und versklavt wurden. Und dieses Wort dazu verwendet wurde, um diese Menschen herabzuwürdigen und als Abschaum oder schlecht zu konnotieren.“ [Anm. d. Red.: konnotieren = etwas mit etwas anderem gedanklich in Verbindung bringen]
Vivi fragt daraufhin nach, was denn eine richtige, eine nicht herabwürdigende Bezeichnung wäre? Entscheidend ist, erklärt Raphaela, dass es ein Begriff sein muss, mit dem sich die schwarze Community selbst beschreibt. „Die richtige Bezeichnung wäre ‚schwarz‘ gewesen. Auch wenn viele denken, farbig wäre besser als zu sagen jemand ist schwarz. Aber schwarz ist tatsächlich eine richtige Bezeichnung – oder eben Person of Color.“ Komplex wird es, weil sich Teile der Community selbst mit dem N-Wort beschreiben. Was Raphaela aber als verstörend empfindet: „Ich denke, niemand sollte das N-Wort benutzen.“
Rassismus findet aber auch im Alltag statt. Ob das im Arbeitsleben ist, in der Freizeit oder beim Kennenlernen. Dabei ist es auch unerheblich, ob jemand die Hautfarbe als positiv hervorhebt. Denn die Bewertung aufgrund eines äußeren Merkmals ist und bleibt eben rassistisch. Denn der Mensch bleibt dabei auf der Strecke: „Ich werde in dem Moment ja gar nicht mehr als Person angesehen oder als ein Mensch, der vielleicht cool ist, hinter dem eine coole Persönlichkeit stecken könnte. Nein, ich werde einfach nur reduziert auf das, wie ich aussehe – und das wird einfach bewertet.“
Auch das Thema der kulturellen Aneignung wird berührt. Als kulturelle Aneignung wird – so Wikipedia – die Übernahme von kulturellen Ausdrucksformen oder Artefakten, Geschichte und Wissensformen von Trägern einer anderen Kultur oder Identität bezeichnet. In einigen Fällen wurde weißen Musikern mit Dreadlocks vorgeworfen, mit der Frisur kulturelle Aspekte der schwarzen Community zu übernehmen. Konzerte wurden daraufhin abgebrochen, Musiker von Veranstaltungen ausgeladen. Raphaela sieht diese Cancel Culture kritisch: „Also ich persönlich finde es vollkommen okay, wenn du jetzt sagen würdest, ich möchte mir Dreadlocks machen, weil ich das schön finde, weil ich die Kultur schätze und mach mir das. Also ich würde jetzt keinen Grund sehen, warum du es nicht machen solltest.“ Es geht darum, den anderen, seine Kultur wertzuschätzen. [Anm. d. Red.: Cancel Culture = öffentliche Ächtung/ Aufruf zu einem generellen Boykott einer Person, aufgrund ihres (vermeintlichen) Fehlverhaltens und/oder beleidigender oder diskriminierender Aussagen oder Handlungen]
Und das ist auch genau die Haltung, die sich Raphaela wünschen würde. Respektvoll, voller Interesse für den anderen. Dann lassen sich auch Fragen nach Herkunft und Familiengeschichte so formulieren, dass sie nicht abwertend oder eben rassistisch rüberkommen, sondern: wertschätzend.