Health Games: Computer­spiele als Therapie

Redaktion
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Computerspielen für die Gesundheit? Was zunächst abwegig klingt, ist tatsächlich Realität. Denn das Genre der Health Games hält viele Angebote bereit, die nicht nur der Unterhaltung dienen: So können Spielende auch ihre Fitness und Gesundheit fördern.

Gaming boomt: Fast jeder zweite Deutsche spielt zumindest gelegentlich Video- und Computerspiele. Das zeigt eine aktuelle Studie des Digitalverbands Bitkom. Sie belegt: Computerspielen ist mittlerweile längst kein Hobby mehr für Nerds oder Eigenbrötler, sondern mitten in der Gesellschaft angekommen – gezockt wird quer durch alle Altersgruppen, ob Teenager, Middle-Ager oder Senioren. 

Health Games – das steckt dahinter

Neben Spielen, die vor allem der Unterhaltung dienen, gibt es auch sogenannte Serious Games. Bei diesen steht nicht primär der Unterhaltungseffekt im Vordergrund. Vielmehr beabsichtigen Serious Games einen Lerneffekt, eine Verhaltensänderung oder spielerische Aufmerksamkeit für gesellschaftlich relevante Themen wie Nachhaltigkeit oder Sicherheit. Serious Games sind heute in der Computerspielewelt fest verankert. Dies zeigt auch die Tatsache, dass jedes Jahr anlässlich des Deutschen Computerspielpreises eine Auszeichnung in der Kategorie "Serious Games" verliehen wird.

Einen Teilbereich der Serious Games stellen sogenannte Health Games dar. Ihr Einsatzbereich ist vielschichtig: Zum einen gibt es digitale Spiele für den professionellen Bereich der Ärzteschulungen, etwa um eine Operation realitätsgetreu zu simulieren oder Fachwissen zu vermitteln. Zum anderen gibt es Spiele, die sich explizit an Patientinnen und Patienten richten und beispielsweise eine gesündere Lebensweise fördern oder Rehabilitationsmaßnahmen unterstützen sollen. Bei bestimmten Erkrankungen wie etwa Krebs oder Diabetes sind Health Games auch dazu da, Wissen zu den Krankheitsbildern zu vermitteln und mögliche Therapieoptionen aufzuzeigen.

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Was Health Games leisten können

  • Welche Potenziale haben Health Games? Darüber sprachen wir mit Dr. Stefan Göbel. Der Informatiker forscht an der TU Darmstadt zu diesem Thema und verantwortet als "Head of Serious Gaming" das vom Land Hessen geförderte Portal "Serious Games Information Center". Mit seinem Team hat er bereits mehrere Serious Games entwickelt.

  • Herr Dr. Göbel, was macht für Sie die Faszination von Serious Games aus?

    Spielen macht Spaß – das ist der Ausgangspunkt. Schon Schiller hat gesagt: "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt." An solchen Aussagen ist viel Wahres dran. Spielen – egal ob Computer-, Brett- oder Kartenspiele – fördert zudem die Kommunikation.

    Serious Games im Speziellen üben einen besonderen Reiz auf mich aus, weil man mit den Spielen zum Beispiel einen Bildungs-, Lern- oder gesundheitlichen Effekt erreichen kann. 

    Schließlich tragen Serious Games dazu bei, Menschen auf spielerische Art und Weise für gesellschaftlich relevante Themen, wie etwa Umweltschutz, zu sensibilisieren.

  • Kommen wir zum Bereich Gesundheit: Wie bewerten Sie das Potenzial von Health Games?

    Das Potenzial ist riesig, Health Games wirken in dreifacher Hinsicht. Einmal, wenn es um Kognition geht: Dazu haben wir selbst schon einige Projekte gemacht. NeuroCare zum Beispiel, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, ist ein Projekt für Personen mit angehender Demenz. Es zielt darauf ab, die geistige Fitness zu erhalten und den Krankheitsverlauf einzudämmen. 

    Das zweite Thema ist die Motorik: PD Exergames etwa ist ein Projekt, das wir gerade hierzu abgeschlossen haben. PD steht für Parkinson-Krankheit (englisch Parkinson's disease), Exergames für Bewegung – Körper und Geist sollen dadurch vereint werden. Es ist bewiesen, dass körperliche Aktivitäten einen positiven Effekt auf den Geist haben. 

    Das dritte Thema ist Cardiotraining – das kann zuhause oder draußen stattfinden. Die Zielgruppe sind hier beispielsweise übergewichtige Personen. Da hatten wir ein Projekt mit dem Adipositas-Rehazentrum INSULA in Berchtesgaden, in dem übergewichtige Kinder und Jugendliche betreut werden. Hierfür haben wir ein spezielles standortbezogenes Spiel "Die Länder von Buhr" entwickelt, das Bewegung im Freien mit einem storybasierten Adventure verbindet.

  • Worin bestehen die Hürden für Health Games?

    Das Thema Evaluation ist die schwierigste Frage. Wie kann man nachweisen, dass durch Health Games positive Effekte eingetreten sind? Wie viel Prozent sind auf das Spiel, auf Aufklärung oder andere Einflussfaktoren zurückzuführen – das ist nicht einfach zu bestimmen.

    Zudem bräuchte man klinische Studien, die über einen längeren Zeitraum laufen, um etwas zur Wirksamkeit von Health Games aussagen zu können. Die meisten Forschungsvorhaben gehen aber nur über drei Jahre. Es fehlt an mittel- und langfristigen Studien. Das ist ein Hindernis, denn die Krankenkassen und andere Leistungsträger wollen konkret wissen, welche medizinischen Effekte erzielt werden und auch welche Kosten man durch Health Games in der Therapie einsparen könnte.

    Eine weitere Hürde ist die Einstufung als Medical App, also als Medizinprodukt. Es gibt Entwicklerinnen und Entwickler von Health Games oder Apps, die bewusst sagen: Es ist kein Medizinprodukt, sondern ein Lifestyle-Produkt. Denn für die Zertifizierung entstehen hohe Kosten: Man braucht einen fünf- bis sechsstelligen Betrag und der Prozess dauert etwa ein Jahr. Manche Entwicklerinnen oder Entwickler gehen aber auch bewusst diesen Weg, damit das Produkt – zum Beispiel von den Krankenkassen – eher anerkannt wird.

Gesundheitsfördernde Spiele sollen auch Spaß machen

  • Welche Best-Practice-Beispiele für Health Games können Sie nennen?

    Re-Mission ist das wissenschaftlich am meisten zitierte Spiel – und das aus gutem Grund, denn es ist mit einer klinischen Studie verbunden. In dieser wurde nachgewiesen, dass die von Krebs betroffenen Kinder die Therapie durch das Spiel besser befolgt haben. Außerdem hat das Spiel ein höheres Entwicklungsbudget als viele andere Health Games, da steckt ein Millionenbetrag und eine professionelle Games-Firma dahinter. Mit minimalem Budget kann keiner erwarten, dass ein Content und Spielerlebnis auf professionellem Niveau entsteht. Insofern fände ich es wichtig, dass die Budgets für Serious Games nicht zu gering ausfallen.

    Mein Favorit in Sachen Health Games ist aber derzeit der ExerCube der Schweizer Firma Sphery. Dabei handelt es sich um einen offenen "Cave" – eine Installation mit drei Wänden, auf die eine 3D-Umgebung projiziert wird. Durch reale Bewegung kann man die 3D-Umgebung steuern, beispielsweise eine Rennstrecke als Fitness-Parcours. Der ExerCube wird bereits flächendeckend in Schweizer Fitnessstudios eingesetzt. Dahinter stecken Fitnesstrainer und gute Game-Designer, die Trainingsprogramme in attraktivem Game-Content inszenieren.

  • Wie sieht es mit der Qualitätssicherung bei Health Games aus?

    Wir arbeiten derzeit an einem RAL-Gütezeichen für Serious Games und wollen somit auch im Bereich der Gesundheitsspiele für Qualität sorgen. 

    Zwei Kriterien legen wir dabei zugrunde: Erstens muss das Spiel aus fachlichler Sicht inhaltlich korrekt sein. Beim vorhin erwähnten Beispiel ExerCube bedeutet dies, dass die Fitnessübungen den Branchenstandards entsprechen müssen.  Das zweite Kriterium ist die Game-Achse – der Spielspaß. Es müssen etablierte Spielmechanismen und andere Faktoren wie Nutzerfreundlichkeit erfüllt sein. Gute Serious Games zeichnet aus, dass beide Achsen – die Inhalte und der Spielspaß – zusammenpassen. Dafür entwickeln wir momentan ein Siegel.
     

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Best-Practice-Beispiele

Einen guten Überblick zu aktuell verfügbaren Serious Games liefert das Portal "Serious Games Information Center" von Stefan Göbel. Dort können Userinnen und User gezielt nach Spielen, in den für sie interessanten Kategorien – wie etwa Gesundheit – suchen. Auch andere Parameter wie Genre, Zielgruppe oder Altersfreigabe sind dort neben einer Kurzbeschreibung der jeweiligen Spiele übersichtlich aufgelistet. Diese Health Games sind empfehlenswert:

Zum "Serious Games Information Center"
  • Re-Mission

    Das von Stefan Göbel angesprochene Spiel Re-Mission könnte man fast schon als Klassiker im Bereich der Health Games bezeichnen. Es handelt sich dabei um ein 3D-Shooter-Spiel für krebskranke Kinder und Jugendliche. Der Spieler muss in jedem "Zell-Level" bestimmte Krebszellen oder Infektionen, wie das Non-Hodgkin-Lymphom oder Leukämie, bekämpfen. Untersuchungen zur Wirksamkeit des Spiels ergaben eine signifikant höhere Konzentration von Chemotherapeutika und Antibiotika im Blut der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Dadurch konnte nachgewiesen werden, dass die Testpersonen ihre Medikamente zuverlässiger einnahmen. Weitere positive Effekte: Das krankheitsrelevante Wissen, die Selbstwirksamkeitserwartung und in der Folge die Lebensqualität nahmen zu.

  • Sparx

    Sparx ist ein an der Universität Auckland in Neuseeland entwickeltes 3D-Fantasy-Spiel, das Jugendliche bei der Bekämpfung von Depressionen helfen soll. Die Benutzerinnen und Benutzer tauchen bei dem Spiel in eine Märchenwelt ab, in der sie zahlreiche Abenteuer bestehen und Rätsel lösen müssen. Dabei lernen sie, mit negativen Gedanken umzugehen und Strategien zur Problemlösung zu entwickeln und umzusetzen. Entspannungsübungen sollen dabei helfen, gelassener zu werden. In einer klinischen Studie wurden die positiven Effekte des Spiels bestätigt.

  • Snow World

    Das Spiel Snow World wurde an der University of Washington in Seattle entwickelt und richtet sich an Personen mit schweren Verbrennungen. Mithilfe einer Virtual-Reality-Brille bekommen die Spielenden Bilder von einer kalten Eiswelt eingeblendet, in der sie Schneemänner mit Schneebällen bewerfen können. Studien zeigen eine positive Wirkung des Spiels im Rahmen einer Schmerztherapie: So konnte das subjektive Schmerzempfinden der Patientinnen und Patienten durch Snow World um 30 bis 50 Prozent minimiert werden.

Health Games können eine Therapie nicht ersetzen

Die genannten Beispiele zeigen, dass Computerspiele bei bestimmten Erkrankungen eine sinnvolle Ergänzung zu klassischen Therapien darstellen können. Qualitativ hochwertige Health Games tragen dazu bei, therapeutische Maßnahmen zu unterstützen und die Motivation der Patientinnen und Patienten langfristig zu steigern. Ein Baustein also – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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Veröffentlicht am 18.01.2021

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