Status Quo: Die elektronische Krankschreibung (eAU) in der Praxis

Redaktion
IKK classic

Seit Anfang des Jahres ersetzt die eAU das bisherige Verfahren zur Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Aber wie klappt es eigentlich mit der Bürokratieentlastung und wo hakt es noch? Unser Check nach einem halben Jahr Echtbetrieb.

Die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) war keine leichte Geburt. Beschlossen wurde sie bereits mit dem Bürokratieentlastungsgesetz II im September 2019, es dauerte jedoch bis zum 1. Januar 2023, bis das Verfahren in Gänze bei allen Beteiligten – Ärzte, Arbeitgeber, Arbeitnehmer – zum Einsatz kommen konnte.

Nun gehört die eAU seit über sechs Monaten zur betrieblichen Praxis und beschert Arbeitgebern und Arbeitnehmern neue Pflichten und neue Arbeitsabläufe. Dies führt zwar durchaus zu Bürokratieentlastung, macht Handwerksbetrieben aber auch Probleme. Wo genau es hakt und was Betriebe tun können, erläutern wir hier.

Das Wichtigste auf einen Blick:

  • Die eAU beschert Arbeitnehmern und Arbeitgebern neue Pflichten: Beschäftigte müssen ihren Arbeitgeber bei Krankheit informieren, dass sie eine eAU abrufen können. Allerdings kennen manche Beschäftigte die neue Pflicht noch nicht.

    Unser Tipp: Betriebe sollten ihre Beschäftigten am besten schriftlich über die neue Pflicht informieren.

  • Die Krankschreibungen müssen Betriebe selbst bei der Krankenkasse abrufen. In der Praxis wird von technischen Problemen mit dem digitalen Abrufverfahren berichtet. Hier kommt es allerdings auf den richtigen Zeitpunkt des Abrufs an.

    Unser Tipp: Arbeitgeber sollten die eAU nicht sofort abrufen, sobald die Mitteilung des Arbeitnehmers eingeht, sondern erst am Folgetag.

Was sich durch die elektronische Krankschreibung geändert hat

Bis Ende 2022 erhielten gesetzlich Versicherte bei einer Krankschreibung drei „gelbe Scheine“: Davon mussten sie einen Schein an den Arbeitgeber weiterleiten und den anderen an ihre Krankenkasse. Der Dritte verblieb beim Versicherten. Mit der Einführung der eAU wurde diese Pflicht modifiziert, Beschäftigte haben im Krankheitsfall jetzt eine neue Informationspflicht. Gleichzeitig bleibt eine andere Pflicht jedoch bestehen.

Bisherige Regelung: Beschäftigte müssen vor Arbeitsbeginn im Betrieb anrufen und darüber informieren, dass sie krank sind. Diese Hinweispflicht bestand auch schon vor der Einführung der eAU.

Neue Regelung: Sobald die Beschäftigten krankgeschrieben sind, greift die neue Informationspflicht. Sie müssen den Arbeitgeber darüber informieren, dass der Arzt eine eAU ausgestellt hat. Denn nur wenn Betriebe über diese Information verfügen, können und dürfen sie die elektronische Krankschreibung bei der Krankenkasse abrufen.

Entgeltfortzahlung: So führt die eAU zu Problemen

Nach sechs Monaten im Echtbetrieb gibt es beim neuen Verfahren vor allem zwei Probleme:

Folgekrankschreibungen: Beschäftigte wissen häufig nicht, dass sie den Arbeitgeber auch über eine Folgekrankschreibung informieren müssen. Denn nur dann kann der Betrieb jede Folge-eAU selbst abrufen.

eAU-Daten sind nicht immer sofort abrufbar: Da Ärzte die AU-Daten mindestens einmal täglich - allerdings nicht zu festgelegten Zeiten - übermitteln, sollte die eAU nicht am Tag des Arztbesuches abgerufen werden, sondern erst am Folgetag.

Beide Probleme können dazu führen, dass Betriebe bei der Entgeltfortzahlung in der Luft hängen. Denn die Entgeltfortzahlung durch die Arbeitgeber setzt voraus, dass ein Nachweis über die Arbeitsunfähigkeit vorliegt.

Hintergrund: Idealerweise fordert der Arbeitgeber die AU-Daten bei der Krankenkasse erst einen Kalendertag nach ärztlicher Feststellung oder nach dem bisherigen Ende der (ihm bekannten) Arbeitsunfähigkeit an. Dadurch werden ablehnende Mitteilungen, z. B. „Rückmeldegrund „4 – eAU/Krankenhausmeldung liegt nicht vor“ und manuelle Nacharbeiten vermieden.

Ein Beispiel:
 

  • Gewährt der Betrieb drei Karenztage, geht der kranke Mitarbeiter am 4. Kalendertag der Arbeitsunfähigkeit zum Arzt. Die eAU wird erst dann von der Vertragsarztpraxis an die Krankenkasse übermittelt, d. h. hier: am 5. Tag der Arbeitsunfähigkeit sollten der Arbeitgeber den AU-Zeitraum anfragen.
     
  • Bestehen keine Karenztage, kann der Arbeitgeber davon ausgehen, dass die eAU der Krankenkasse am 2. Kalendertag nach Krankmeldung bei der Krankenkasse vorliegt. Bei einer sich verlängernden Krankheit sollte der Arbeitgeber die eAU frühestens einen Kalendertag nach dem bisherigen Ende der Arbeitsunfähigkeit abfragen.

Das können Betriebe tun: Mitarbeiterinformation

Mitarbeitende haben trotz eAU zwei Pflichten im Krankheitsfall:

  1. Zum einen besteht die sofortige Hinweispflicht am ersten Krankheitstag vor Arbeitsaufnahme.
     
  2. Nach einem Arztbesuch muss der Nachweis der Krankschreibung zum Arbeitgeber gelangen: Statt Abgabe des „gelben Scheins“ muss der Mitarbeitende in den Fällen, in denen eine eAU erstellt wurde, den Arbeitgeber über die AU und deren voraussichtliche Dauer informieren.

 

Diese Informationspflicht über das Vorliegen einer elektronischen Krankschreibung besteht nicht nur bei der ersten Krankschreibung, sondern auch bei jeder weiteren Folgebescheinigung. Die Erfüllung dieser Informationspflichten ist Voraussetzung für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Unser Tipp: Um Missverständnissen im Betrieb vorzubeugen, raten wir dazu, dass Betriebe ihre Mitarbeitenden schriftlich über die neue Informationspflicht informieren und sich den Erhalt der Information quittieren lassen, damit unnötiger Streit über die Nebenpflichten der Arbeitnehmer im Krankheitsfall vermieden wird.

Unser eAU-FAQ gibt hier wichtige Tipps zum Umgang mit arbeitsrechtlichen Fragestellungen.

Bürokratieentlastung ja, aber…

Die eAU sollte den gelben Papierbergen im Büro ein Ende setzen und Bürokratie abbauen. Doch hat das geklappt?

Die Bürokratieentlastung ist gegeben, denn die Abläufe bei Ärzten und Arbeitnehmern sind digitaler geworden, hier wird definitiv Papier gespart. Ein Blick auf die aktuellen Zahlen zeigt, dass die Einführung der eAU richtig und wichtig war. Im Jahr 2023 (Stand 03.07.2023) hat die IKK classic bereits 1.673.860 eAU-Arbeitgeber-Anfragen von 267.842 verschiedenen Betrieben erhalten.

Für Betriebe ist diese Bürokratieentlastung auch spürbar, in der Praxis tauchen allerdings neue Aufgabenstellungen auf:

1. Verlagerung von Pflichten:

Verlagerung von Pflichten: Beim „gelben Schein“ hatten Mitarbeitende eine Bringschuld, da sie die Krankschreibung bei ihrem Arbeitgeber abgeben mussten. Mit der eAU sind nun Betriebe in der Pflicht: Sie müssen die Krankschreibung selbst bei der jeweiligen Krankenkasse abrufen. Das kostet Zeit. Die in diesem Zusammenhang häufig diskutierte sog. „proaktive Datenübermittlung an Arbeitgeber“ ist aus Datenschutzgründen keine Alternative.
 

Hintergrund: Bei Wechsel des Arbeitgebers haben der neue und der alte Arbeitgeber mehrere Wochen Zeit, die Abmeldung bzw. die Anmeldung an die Krankenkasse zu übermitteln. So könnte die Situation eintreten, dass die Krankenkasse AU-Zeiten an einen nicht mehr aktuellen Arbeitgeber übermittelt.

Die Thematik wurde im Zuge der Erstellung des Datenaustauschverfahrens ausführlich von allen Seiten – auch von der Arbeitgeberseite – diskutiert. Der Gesetzgeber sieht aufgrund von datenschutzrechtlichen Bedenken keine Möglichkeit die eAU proaktiv von der Krankenkasse an den Arbeitgeber übermitteln zu lassen.

2. Zusätzlicher Kommunikationsaufwand:

​​​​​Viele Handwerksbetriebe überlassen die Lohnabrechnung einem externen Dienstleister, zum Beispiel ihrem Steuerberater. Bei Krankheitsfällen müssen Betriebe nun dafür sorgen, dass der Dienstleister sämtliche für den Abruf erforderlichen Informationen (u.a. Zugangsdaten zu systemgeprüften Ausfüllhilfen, z.B. sv.net) erhält. Mit der Zeit dürften die aktuell auftretenden Probleme geringer werden, auch weil das eAU-Verfahren in Gänze einer kontinuierlichen Prozessoptimierung unterliegt. Die Erfolge werden mittelfristig auch für Arbeitgeber spürbar sein.

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IKK classic

Veröffentlicht am 17.07.2023