Frau und Kind im Arm lachen in die Kamera

Leben mit
Downsyndrom –
ein Familienporträt

Weltweit kommt von 800 Neugeborenen eines mit Downsyndrom zur Welt. Was diese Diagnose bedeutet und wie es sich anfühlt, ein betroffenes Kind auf seinem Weg ins Leben zu begleiten, erzählt Fotografin und Sozialpädagogin Esther Meinel-Zottl.

Ein gesundes Kind trotz Trisomie 21?

„Wir haben ihn angeschaut und gesagt: Das ist das perfekte Baby“, so beschreibt die heute 41-jährige Esther Meinel-Zottl die ersten Tage mit ihrem neugeborenen Sohn Aaron vor vier Jahren. Die Erfahrungen dieser ersten Tage schenkten ihr, ihrem Mann und den beiden älteren Zwillingsschwestern eine tiefe Verbundenheit.

Esther ist bis heute dankbar für diese sorgenfreien Momente. Wenige Tage später erst folgte die Diagnose aus dem Labor: „Ein Glück, das Kind ist soweit gesund. Es hat nur ein Chromosom mehr“, so kommunizierte es die Ärztin. Esther erlebte die Diagnose „Trisomie 21“, auch Downsyndrom genannt, im Hormonrausch nach der Geburt. Für sie war erstmal nur eines wichtig: dass ihr Kind gesund ist und leben wird.

Was ist das Downsyndrom?

Bei Menschen mit Downsyndrom kommt das 21. Chromosom dreimal, statt nur zweimal vor, wie bei der Mehrheit der Bevölkerung. Trisomie 21 ist die häufigste Ursache für eine genetisch bedingte Behinderung. Doch was genau sie für die Gesundheit, Lebensqualität und geistige Leistungsfähigkeit der Betroffenen bedeutet, ist sehr unterschiedlich. Organische Schäden wie Herzfehler oder Magen-Darm-Störungen, Leukämie, aber auch begleitende psychische Erkrankungen wie Autismus kommen bei Trisomie 21 häufiger vor.

Die Angst vor der Behinderung

Esthers Eltern waren in der sozialen Arbeit tätig und so kam Esther schon früh mit Menschen mit geistigen Behinderungen in Kontakt und lernte einen natürlichen Umgang mit ihnen. Jahre vor Aarons Geburt bekam Esthers Schwester mit Mitte 20 einen Sohn, bei dem erst im Laufe der ersten Lebensjahre ein sehr seltener genetischer Defekt und eine Behinderung festgestellt wurden. „Behinderungen gehören zum Leben einfach dazu – ob angeboren oder erworben. Das wurde mir damals klar“, erzählt Esther. Als sie selbst dann mit der Diagnose ihres Sohns konfrontiert wurde, nahm ihr diese Lebenserfahrung viele Ängste.

Zwar lassen sich einige Chromosomenabweichungen wie das Downsyndrom mit Pränataldiagnostik gut bestimmen. Viele Eltern erhalten die Diagnose, dass sie ein Kind mit Downsyndrom erwarten, daher bereits in der Schwangerschaft. Wie stark der Alltag der Familie jedoch von Therapie und Förderung geprägt sein könnte, wieviel Kräfte das Kind den Eltern abverlangen wird, was es für die Partnerschaft, die berufliche Aktivität oder die Geschwisterkinder bedeutet – all das lässt sich kaum vorhersagen.

Mutter hält stolz ihr neugeborenes Baby. © meinelzottl
Familie isst im Garten an gedecktem Tisch. © meinelzottl

Ist das Baby bei Diagnosestellung noch nicht geboren, kann es noch nicht gekuschelt und geliebt werden, dann ist die Bindung zum Kind noch nicht so stark, das Leben mit ihm noch eine abstrakte Zukunftsvorstellung. Deshalb überwiegen für die meisten Eltern zu dem Zeitpunkt die Ängste und Sorgen.

Esther kann Eltern in dieser Situation gut verstehen und ist froh, dass sie die Diagnose erst drei Tage nach der Geburt erfahren hat. So konnte sie ihr Baby in den ersten Stunden ganz unvoreingenommen kennenlernen. „Ich bin sehr dankbar, dass wir diese Zeit hatten“, sagt Esther.

Dass Aaron keine Organschäden hat und soweit gesund war, ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist aber ein schönes Beispiel dafür, dass ein Leben mit Behinderung nicht zwangsläufig bedeuten muss, krank zu sein.

Ein Kind mit Behinderung – und das Leben steht Kopf?

Trotzdem musste Esther in Aarons erstem Lebensjahr viele Male um sein Leben bangen, weil er von Atemwegsinfektionen und Atemnot betroffen war – Erkrankungen, an denen auch viele andere Kinder leiden. Doch die Familie ließ sich davon nicht verunsichern. Schon vor Aarons Geburt war das Paar häufig mit seinen Töchtern unterwegs, die Familie reiste bis nach Patagonien.

Auch für die Elternzeit nach Aarons Geburt war eine Reise nach Südeuropa geplant – und sie hielten an den Plänen fest. „Mit einem Kind – egal ob behindert oder nicht – braucht man das tiefe Vertrauen, dass sich Wege ergeben, dass sich alles finden wird. Auf unserer Reise sind wir dann unterwegs mit ihm ins Krankenhaus gegangen, wenn es notwendig war.“

Diese Reise stärkte sie als Familie und zeigte ihnen, dass das Leben weiterging – entlang der Bedürfnisse aller drei Kinder. Mit oder ohne Behinderung.

Mutter hält lachendes Kind auf dem Schoß. Das Kind ist von Trisomie-21 betroffen. © meinelzottl
Kleiner Junge lacht in die Kamera und bringt seinen Fuß zum Mund. © meinelzottl

Der Alltag mit Downsyndrom

Vier Jahre ist das nun her. Aaron geht mittlerweile in einen Waldkindergarten. Er spricht einige Worte, beobachtet seine Umgebung sehr aufmerksam und „ist lieber mitten drin, als einfach nur dabei“, wie eine seiner Erzieherinnen sagt. Mit der Familie verbringt er viel Zeit in der Natur – ein idealer Ort, um zu lernen und sich weiterzuentwickeln, findet Esther. 

In ihrem Alltag mit Aaron erlebt sie immer wieder berührende Situationen. Sie nimmt bei ihm eine besondere Feinfühligkeit wahr, als hätte er einen Sinn mehr – die Gabe in Kontakt zu gehen und Beziehungen aufzubauen. Das bestätigen auch seine Erzieherinnen und Erzieher, die ihn schnell ins Herz geschlossen haben. „Wo wir noch zögern, weil wir unsicher sind, wie unser Verhalten ankommt, lebt er seine Gefühle einfach aus“, erzählt sie.

Doch natürlich hat das auch herausfordernde Seiten, besonders weil er sich noch nicht so gut verbal mitteilen kann. Esther musste erst lernen, damit umzugehen und stieß dabei schon das ein oder andere Mal an ihre Grenzen – eine Erfahrung, die viele Eltern von Kleinkindern teilen.

Unterstützung annehmen

Niemand bleibt mit einem betroffenen Kind allein. Zahlreiche Sozialverbände unterstützen ihre Familien, helfen bei den kleinen Problemen des Alltags, unterstützen bei der Vermittlung von Betreuungsplätzen und sind da, falls es größere Schwierigkeiten gibt. Sie beraten auch zu finanzieller Unterstützung und Pflegegeld. Schwangere können sich noch vor Inanspruchnahme von Pränataltests oder nach auffälligen Befunden beraten lassen. Falls die Schwangere ihr Kind zwar austragen, es aber nicht aufziehen möchte, vermitteln kirchliche Einrichtungen Pflegefamilien. 
Eine Auswahl von Beratungsstellen: die Lebenshilfe, die Aktion Mensch mit dem Familienratgeber, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen.

Kuren

Mutter- oder Vater-Kind-Kuren

Mütter und Väter können aufgrund ihrer familiären Situation gesundheitlich belastet oder gefährdet sein. Verspricht in einem solchen Fall die Behandlung in einer spezialisierten Einrichtung medizinische Hilfe, übernimmt die IKK classic die Kosten. Mehr zu Mutter- oder Vater-Kind-Kuren

Wieviel Förderung braucht ein Kind mit Trisomie?

„Wir lassen Aaron viel Zeit und er nimmt sie sich auch“, sagt Esther. Der heute Vierjährige hat erst vor Kurzem seine ersten Schritte gemacht. Die Frage, wie gut sich ihr Kind entwickeln wird, beschäftigt viele betroffene Eltern. Therapieangebote gibt es zahlreiche. Esther geht mit Aaron wöchentlich in die Physiotherapie, Logopädie und Reittherapie. Eltern von Kindern mit Behinderung investieren für die Förderung ihrer Kinder oft viel Zeit und stehen häufig unter Druck, nimmt Esther wahr.

„Förderung ist auch eine Gratwanderung. Denn einerseits wollen wir unsere Kinder befähigen, selbstwirksam und selbständig zu sein. Doch manchmal frage ich mich, ob wir beweisen müssen, dass unsere Kinder gar nicht so behindert sind?“

Vater läuft mit seinen Töchtern und seinem kleinen Sohn auf dem Arm durch eine Wiese. © meinelzottl

Esther findet, dass sich nicht Kinder mit Behinderung ändern sollten, sondern die Gesellschaft. Nämlich dahin, dass sich alle Menschen in ihrer Vielfalt, Hilfsbedürftigkeit und Verletzlichkeit angenommen fühlen können. Viele würden davon profitieren, denn Angststörungen und Depressionen nehmen laut WHO in der Bevölkerung weltweit zu, bedingt durch die Corona-Pandemie auch bei Kindern, wie aktuelle Studien zeigen.

Gerade deshalb sei es so wichtig, auch die Fähigkeiten von Kindern mit Behinderung zu sehen, nämlich die Stärke, den Moment zu genießen und in Beziehung zu gehen. Davon, findet Esther, könnten wir einiges lernen. In ihrer Familie nimmt sie das deutlich wahr: „Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr Aaron unser Familienleben bereichert, wie viel wir alle von ihm gelernt haben. Er lebt uns mit seiner spontanen Freude so oft ein unbeschwertes, unverkopftes Verhalten vor“. 

Hier sieht man deutlich, dass sich mehr Vielfalt positiv auf uns alle auswirkt – ein Grund mehr, den Kontakt zu Menschen mit Behinderung zu suchen und den Blick dafür zu öffnen.

Trisomie im Erwachsenenalter – was dann?

Doch was wird sein, wenn Aaron einmal erwachsen ist? Wird er selbständig in einer inklusiven WG wohnen können? Wird er einem Beruf nachgehen, vielleicht in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten? Wird er gesund bleiben? Das hat Esther nicht in der Hand – für keines ihrer Kinder, betont sie. Denn Lebensglück lässt sich schwer vorhersagen und nicht an einer Chromosomenzahl festmachen. Vielmehr möchte sie sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und ihren drei Kindern für die Zukunft vor allem eines mitgeben – die Botschaft: „Du bist gut, so wie du bist!“ 

Weiterführende Informationen

Mehr erfahren über ein Leben mit Downsyndrom

  • Deutsches Downsyndrom Infocenter

    Informationen rund um die häufigste Chromosomen-Variante Trisomie 21 gibt das Downsyndrom Infocenter.

    Mehr erfahren
  • Infobroschüre „Es wird gut“

    An sachlichen Informationen fehlt es nach einer Diagnose selten, an Erfahrungen aus erster Hand häufig schon. Diese Broschüre will das ändern: Erstinformationen für betroffene Eltern von betroffenen Eltern.

    Mehr erfahren
  • Esthers Buchtipp

    Bildbände der Serie „Außergewöhnlich“ von Conny Wenk, erschienen im Neufeld Verlag.

  • Esther auf Instagram

    Unter @ourlifeinthealps gibt Esther weitere Einblicke in ihr Leben mit Aaron.

  • Visual von Person mit Behinderung

    Wissen

    Teilhabe statt Vorurteile

    Menschen mit Behinderungen sind ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft, werden aber immer noch diskriminiert. Wir zeigen, warum Menschen mit Behinderungen nicht an den Rand der Gesellschaft gehören. Artikel lesen

  • Holzkugeln mit aufgezeichneten Smileys

    Wissen

    Warum Vorurteile krank machen können

    Wir sprechen mit Diplom-Psychologen Uwe Hambrock, dem Leiter der Grundlagenstudie zu Vorurteilen und Diskriminierung, über die zentralen Ergebnisse. Artikel lesen

  • Frau im Friseursalon

    Leben

    Melissa Ruiz-Lopez: Behinderung - na und?

    Menschen mit Behinderung haben es nicht immer leicht – im Alltag, aber auch auf dem Arbeitsmarkt stehen sie vor besonderen Herausforderungen. Doch es gibt viele Beispiele für gelungene Inklusion. Artikel lesen