Pride Day Demonstration mit Regenbogenfahne

Pride Day: Gutes tun, ohne sich schlecht zu fühlen

Am 7. Juli ist Pride Day – eigentlich ein Anlass zur Freude. Doch noch immer werden Männer, die Sex mit Männern haben, bei der Blutspende anders behandelt als heterosexuelle Menschen. Das sollte unbedingt aufhören, meinen Aktivisten und Betroffene. Erste Schritte sind getan, doch es bleibt noch Luft nach oben.

Wie in jedem Jahr ist auch der Juli 2022 ein besonderer Monat. Der Pride Month ist für die queere Community Anlass, ihre Identität zu zelebrieren und Vielfalt zu feiern. Aber was bei all den Gay-Pride-Paraden, Festivals und Demos nicht vergessen werden darf: Es geht auch darum, für gleiche Rechte zu kämpfen. Zum Beispiel in Sachen Blutspende.

Blut ist ein wertvolles und seltenes Gut. So selten, dass Menschen unter Umständen sterben, weil Blutkonserven fehlen. Das muss sich ändern. Und es könnte sich sehr leicht ändern lassen. Zum Beispiel, indem für alle Menschen die gleichen Regeln bei der Blutspende gelten. Doch Stand heute ist das nicht der Fall: Männer, die Sex mit Männern haben, werden bei den zeitlichen Fristen anders behandelt als heterosexuelle Personen. Bis 2017 waren sie sogar komplett von der Blutspende ausgeschlossen.

Multi-Pic von verschiedenen Männern

Blut ist Blut. Mensch ist Mensch.

Wir sind bereit für das neue Blutspendegesetz ohne Diskriminierung von Männern, die Sex mit Männern haben. Mehr erfahren

Schwule Männer werden bei der Blutspende noch immer diskriminiert

Zwar wurde die sogenannte Hämotherapie-Richtlinie 2021 überarbeitet. Dafür wurde ein sogenannter Arbeitskreis Blut mit Vertretungen des Paul-Ehrlich-Instituts, des Robert Koch-Instituts, der Bundesärztekammer und des Bundesgesundheitsministeriums gebildet. In den neuen Regelungen wurden die Ausschlussfristen für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), von zwölf auf vier Monate verkürzt, wenn sie einen neuen oder mehr als einen Sexpartner haben.

Für Aktivist Lucas Hawrylak ist die Anpassung des Regelwerks aus dem vergangenen Herbst allenfalls ein Teilerfolg. „Die neuen Fristen entsprechen zumindest in Teilen der Lebensrealität von queeren Menschen, dennoch gibt es immer noch eine Ungleichbehandlung. Das kann nicht ausreichen.“ Als homosexueller Mann sei er weiterhin einer Diskriminierung ausgesetzt.

Auch der Berliner Journalist Steven Meyer empfindet die prinzipielle Unterscheidung zwischen hetero- und homosexuellen Menschen als stigmatisierend. „Das gehört dringend abgeschafft“, sagt er. „Vor der Spende Fragen beantworten zu müssen, die sich explizit an schwule Männer richten, ist nicht mehr zeitgemäß. Man hat Regelungen gefunden, die trotzdem de facto ein Ausschluss sind. Schließlich wartet kein Single, egal mit wem er schläft, vier Monate, nur um danach Blut spenden zu können.“ Und lügen und sich selbst verleugnen möchte er nicht. Deshalb will erst wieder zur Blutspende gehen, wenn nicht mehr nach seiner sexuellen Orientierung gefragt wird.

Kein Single, egal mit wem er schläft, wartet vier Monate, nur um danach Blut spenden zu können.
Steven Meyer, Journalist

Um das Vorgehen zu ändern, hat Lucas Hawrylak bereits 2020 die Online-Petition „Regenblut tut gut“ gestartet. Dort heißt es: „Ich bin schwul, darf heiraten, Kinder adoptieren und Organe spenden, aber mein Blut soll zu schmutzig zum Spenden sein? Damit muss Schluss sein!“ Mehr als 71.000 Menschen haben inzwischen unterschrieben.

Mehr Blutspenden werden benötigt, die Regeln müssen sich ändern

„Wissenschaftliche und medizinische Erkenntnisse lassen inzwischen eine andere Einschätzung der Situation zu“, so Hawrylak. Und tatsächlich gibt es bereits sehr viele Länder, in denen die Blutspendepraxis anders geregelt ist. Hier wird nicht nach sexueller Orientierung unterschieden, sondern das persönliche Risikoverhalten in Betracht gezogen. Dort sehe man keine höheren HIV-Fallzahlen oder verunreinigte Blutspenden. Für Hawrylak ist das der Beweis, dass es Zeit ist, die Neuregelung neu zu regeln.

Thumbnail des Videos mit zwei Händen, die sich annähern und mit einem Transfusionsschlauch verbunden sind.
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Was Experten dazu sagen

Zwei Queer-Aktivisten, ein Transfusionsmediziner sowie ein Journalist und Politiker erklären, warum Single-Männer, die Sex mit Männern haben, von der Blutspende zurückgestellt werden und wie auch mit entdiskriminierenden Lösungsansätzen weiterhin eine sichere Blutversorgung in Deutschland garantiert werden kann.


Auch unter Medizinern gibt es Zustimmung: „Wir haben einen großen Bedarf an Blutspenden und brauchen unbedingt einen gesellschaftlichen Konsens, dass das in einem positiven Licht gesehen wird. Deshalb ist die Diskriminierungsproblematik schädlich. Wir wollen das nicht“, sagt Dr. Jörg Schüttrumpf. Er ist Hämatologe, ausgebildeter Transfusionsmediziner und zudem Vorstandsmitglied der Biotest AG. Wichtigster Ausgangsstoff der hier hergestellten Arzneimittel: menschliches Blutplasma. „Wenn man die Produkte sieht, die aus Blutplasma hergestellt werden, sehen wir überhaupt kein Risiko“, so Schüttrumpf. „Selbst wenn Proben dabei sind, die im Rahmen des sogenannten diagnostischen Fensters positiv wären, haben wir entsprechende Vorkehrungen im Produktionsprozess, die Sicherheit gewährleisten“, erklärt der Mediziner.

Schüttrumpf plädiert für einen stärkeren Fokus auf den Einzelnen. „Am Ende muss es die Verantwortung von jedem Spender sein. Es muss klar sein, was die Risikofaktoren sind, das Problembewusstsein muss vorhanden sein und deshalb braucht man einen gesellschaftlichen Konsens, um die Blutprodukte so sicher wie möglich zu machen und trotzdem niemanden zu diskriminieren.“

Junge Frau lässt sich in Arztpraxis Blutdruck messen

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Diskriminierungsfreie Blutspende – die Ampelkoalition will handeln

Auch Bürgerrechtsorganisationen wie der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) kritisieren die Regelung. Während für heterosexuelle Menschen nur Sex mit häufig wechselnden Partnern und Partnerinnen als Risikoverhalten definiert wird, reicht bei schwulen und bisexuellen Männern bereits ein Sexualkontakt zu einem neuen Mann, um für vier Monate von der Blutspende ausgeschlossen zu werden, heißt es beim LSVD. Zudem bleibe es “aus nicht nachvollziehbaren Gründen irrelevant, ob dieser Sexualkontakt safe oder unsafe war”. Das führt zu der paradoxen Situation, dass eine heterosexuelle Person selbst dann Blut spenden darf, “wenn sie in den vergangenen vier Monaten einen One-Night-Stand ohne Kondom hatte. Währenddessen wäre ein schwuler Mann von der Blutspende ausgeschlossen, wenn er einmal safen Sex mit einem neuen Partner hatte”. Die Unterstellung, dass Sexualkontakte zwischen Männern in jedem Einzelfall eine größere Infektionsgefahr bedeuten, sei genauso diskriminierend wie absurd.

„Was da nicht in Betracht gezogen wird,“ fügt Lucas Hawrylak hinzu, „ist, dass die HIV-Neuansteckungsrate bei heterosexuellen Männern inzwischen höher ist als bei homo- und bisexuellen.“ Schließlich sei auch die Aufklärung, was Geschlechtskrankheiten angeht, in dieser Gruppe viel höher als in der Restbevölkerung. „Allein die Testung auf entsprechende Krankheiten passiert in viel regelmäßigeren Abständen. Ich kenne keinen schwulen Mann, der nicht mindestens einmal im Jahr oder sogar alle paar Monate zum STD-Check geht“, sagt auch Journalist Steven Meyer. „Ich kenne aber extrem viele heterosexuelle Personen, die noch nie einen solchen Test gemacht haben.“

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Am Ende reden wir über Vorurteile und man merkt, wie schwer es ist, diese Vorurteile aus den Köpfen zu bekommen.
Jürgen Lenders, FDP-Abgeordneter

Im vergangenen Jahr hat es das Thema diskriminierungsfreie Blutspende auch auf die Agenda der Regierung geschafft: „Das Blutspendeverbot für Männer, die Sex mit Männern haben, sowie für Transpersonen schaffen wir ab, nötigenfalls auch gesetzlich“, so heißt es im Koalitionsvertrag der Ampelparteien. „Es ist eigentlich nicht nachvollziehbar, wieso man im letzten Herbst nicht den entsprechenden Schritt gegangen ist und das angepasst hat“, so Jürgen Lenders, der für die FDP im Bundestag sitzt. Er selbst wurde vor einigen Jahren auch selbst abgewiesen. Das sei zu einer Zeit gewesen, als schwule Männer überhaupt kein Blut spenden durften. „Es ist ein sehr schlechtes Gefühl, weil man ja nichts anderes will, als anderen Menschen zu helfen“, so Lenders.

„Am Ende reden wir über Vorurteile und man merkt, wie schwer es ist, diese Vorurteile aus den Köpfen zu bekommen.“ Wenn es für die zeitlichen Fristen einen guten medizinischen Grund gibt, da sind sich alle Befragten einig, dann sollte dieser Grund für alle gelten – egal mit wem sie Sex haben und egal, wen sie lieben. 

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