Tischler schneidet Holzbrett in Werkstatt

Deutscher Arbeitsschutz­preis 2021 für mehr Sicherheit beim Sägen

"Fünf Bier für die Männer vom Sägewerk!", sagt der Tischler und hebt seine Hand mit drei Fingern in die Höhe. Diesem bösen Witz will der Maschinenhersteller Altendorf den Garaus machen: mit einem Assistenzsystem, das die Sicherheit an der Kreissäge deutlich erhöht. Dafür hat das Unternehmen den Deutschen Arbeitsschutzpreis 2021 gewonnen. Ein Gespräch mit dem Erfinder.

Die branchenübergreifende Auszeichnung "Deutscher Arbeitsschutzpreis" würdigt vorbildliche technische, strategische, organisatorische und kulturelle Lösungen rund um die Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit. Dahinter stehen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV).

Der Preis wurde am 26. Oktober verliehen: Die diesjährigen Gewinner sind neben der Altendorf GmbH, die LyondellBasell AG, der Tierpark Bochum gGmbH, der Harald Gerjets Raumausstatter-Meisterbetrieb und die WandelWerker Consulting GmbH. Kurzporträts über die Unternehmen und ihre Projekte im Bereich Arbeitsschutz finden Sie hier.

Karl-Friedrich Schröder, Leiter Forschung und Entwicklung bei Altendorf © privat

Die Altendorf GmbH aus Minden hat mit "Hand Guard" ein Assistenzsystem entwickelt, das Gefahrensituationen an der Kreissäge frühzeitig erkennt und die Maschine unverzüglich abschaltet – auch wenn sich die Hand sehr schnell nähert. Wir haben uns mit Karl-Friedrich Schröder, Leiter Forschung und Entwicklung bei Altendorf, über die Hintergründe des Projekts, Rückmeldungen der Kunden zu Hand Guard und den Stellenwert von Arbeitsschutz in der holzverarbeitenden Industrie und anderen Anwendungsbereichen unterhalten.

Arbeitsschutz

Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit sind für uns wesentliche Bestandteile eines ganzheitlichen Gesundheitsmanagements im Betrieb. Mehr erfahren!

Täglich ein Unfall mit einer Kreissäge

Herr Schröder, der Name Altendorf steht für die Formatkreissäge – ein universales Werkzeug, das in vielen Handwerksberufen zum Einsatz kommt. Welchen Stellenwert haben die Themen "Arbeitsschutz" und "Arbeitssicherheit" für Ihr Unternehmen?

Zunächst muss man wissen, dass die Arbeit an Formatkreissägen bei nicht sachgemäßer Bedienung sehr gefährlich sein kann. Dies ist auch in der entsprechenden Maschinenrichtlinie so festgehalten. Wir bauen unsere Formatkreissägen nach den höchsten Sicherheitsstandards und den internationalen Normen. In der Regel führt die Berufsgenossenschaft eine EG-Baumusterprüfung durch und für den Export in die USA und nach Kanada besitzen die Maschinen eine UL- bzw. CSA-Abnahme durch eine zugelassene Prüfstelle.

Über diese Anforderungen hinaus haben wir zusätzliche Systeme entwickelt, welche die Arbeitssicherheit noch weiter steigern. Zum einen Hand Guard, das die Hände vor Verletzungen am Sägeblatt schützt und zum anderen das Sicherheitssystem "Rip Fence Security", das den sogenannten Kick-Back-Effekt verhindert, indem der Parallelanschlag nach dem Durchtrennen des Werkstücks automatisch ausrückt.

Wieso ist Arbeitsschutz beim Sägen aus Ihrer Sicht so wichtig?

Trotz der hohen normativen Anforderungen passieren immer noch viele Unfälle. In Deutschland ereignet sich im Durchschnitt mindestens einmal täglich ein meldepflichtiger Unfall bei der Arbeit mit Kreissägen, teilweise sogar verbunden mit dem Verlust von Gliedmaßen. Die Folgen sind Schmerzen und Einschränkungen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Der Schutz der Maschinenbedienenden hat für Altendorf daher höchste Priorität.

Auch im Hinblick auf die Zukunftssicherung und Attraktivität des Handwerksberufs ist dies extrem wichtig. Denn – wie wir alle wissen – gibt es im Handwerk einen Fachkräftemangel. Wenn wir es hinbekommen, dass der Beruf des Tischlers nicht mehr mit dem Spruch "fünf Bier für den Tischler" in Verbindung gebracht wird, weil fast jeder einen Finger verloren hat, wäre schon ein großer Schritt gemacht. Beim regelmäßigen Kontakt mit unseren Kunden begegnen uns nahezu täglich Mitarbeitende, welche den Verlust von Gliedmaßen beklagen mussten. Daher ist das Thema 'Verletzungen' bei uns sehr präsent.

Technik wie im Smartphone

Wie ist die Idee zu Hand Guard entstanden?

Wir haben zunächst eine genaue Analyse der am Markt verfügbaren Sicherheitssysteme durchgeführt und untersucht, warum sie sich bisher nicht durchsetzen konnten. Dann haben wir uns in unserem Entwicklungsteam ein Funktionsprinzip ausgedacht und die Technologien, die es derzeit gibt, miteinander verglichen.

Bei der Entwicklung von Hand Guard haben wir uns stark von der Gesichtserkennung leiten lassen, eine Funktion, die heutzutage fast jedes Handy besitzt und auch für sensible Aufgaben – wie zum Beispiel die Identifikation für Bezahlvorgänge – eingesetzt wird. Unser Credo lautete: Wir müssen Gefahrensituationen rechtzeitig erkennen – und das geht eben in erster Linie über Kameratechnik.

Können Sie das Prinzip hinter Hand Guard kurz und verständlich erklären?

Hand Guard basiert auf vier einfachen Schritten: Erstens gilt es, die Zeit zu ermitteln, die für die 'Entschärfung' der Maschine erforderlich ist. Im zweiten Schritt erfolgt über die beiden Kameras eine Handerkennung, in der die genaue Position und die Bewegung der Hände bestimmt werden. Drittens berechnen wir, wo sich die Hände in der im ersten Schritt ermittelten 'Entschärfungszeit' befinden werden. Im vierten und letzten Schritt legen wir fest, wann die Maschine im Gefahrenfall abgebremst werden muss. Kurzum: Hand Guard ist ein vorausschauendes System und handelt entsprechend rechtzeitig.

Die größten Gefahrensituationen richtig beurteilen

Was waren die wichtigsten Meilensteine bei der Entwicklung von Hand Guard?

Bei der LIGNA 2019, einer Fachmesse für Werkzeuge, Maschinen und Anlagen zur Holzbe- und -verarbeitung haben wir ein Funktionsmuster vorgeführt, um die Kundenresonanz abzufragen. Auf dieser Basis haben wir dann im Oktober 2020 eine positive Konzeptprüfung durch die zuständige Zulassungsbehörde erhalten. Daraufhin haben wir Anfang dieses Jahres den Probebetrieb bei unseren Kunden gestartet, aktuell mit 46 installierten Maschinen.

Wir besuchen diese Kunden regelmäßig und nehmen ihr Feedback auf. Der Probebetrieb ist elementare Voraussetzung für die Fertigentwicklung, da nur anhand der Analyse von realen Betriebsbedingungen die Erkennungsrate und tatsächliche Gefährdungsreduktion beurteilt und optimiert werden können.

Worin bestanden die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des Projekts?

Das System muss nachweislich Sicherheit garantieren. Die große Herausforderung bestand in der Konzeptphase in der Frage, worauf wir das System auslegen müssen. Sind es normale Arbeitsbewegungen oder Reflex- oder gar Abrutschbewegungen, die wesentlich schneller sein können? Diese Punkte haben wir in enger Abstimmung mit den Abnahmebehörden erörtert. Aktuell befinden wir uns in der eigentlichen Zulassungsphase. Das heißt, wir streben eine Zulassung von Hand Guard als Sicherheitssystem an.

Mit wem haben Sie bei dem Projekt kooperiert?

Wir arbeiten für die Handerkennungssoftware mit IT-Unternehmen zusammen. Außerdem holen wir uns Expertise von externen Sicherheitsfachleuten und – wie bereits erwähnt – erfolgt auch eine enge Abstimmung mit den Abnahmebehörden. Die Sicherheit des Systems ist dabei stets das oberste Ziel.

Betriebliches Gesundheits­management (BGM)

Gesunde Mitarbeiter – starker Betrieb: Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) umfasst alle gemeinsamen Maßnahmen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zur Verbesserung der Gesundheit am Arbeitsplatz. Mehr erfahren!

Positive Rückmeldung besonders von Ausbildungsbetrieben

Was erhalten Sie für Feedback von Ihren Kunden: Wie hat sich Hand Guard bisher in der Praxis bewährt?

Es gibt ganz unterschiedliche Rückmeldungen, die die gesamte Bandbreite unserer Anwender abbilden. Zum Beispiel sagen manche Handwerker: 'Ich bin schon 25 Jahre im Job und habe noch alle zehn Finger – ich brauche das nicht.'

Auf der anderen Seite haben wir auch größere Unternehmen, die sich als Ausbildungsstätten verstehen, da bekommen wir positive Rückmeldungen wie 'Jetzt habe ich die Gewissheit, dass den Auszubildenden oder angelernten Kollegen immer jemand auf die Finger schaut, wenn sie mit der Säge arbeiten.'

Generell ist es so, dass wir nach wie vor dabei sind, die Erkenntnisse des Probebetriebs in Verbesserungen des Systems einfließen zu lassen. Aktuell haben wir unsere Maschinen fast ausschließlich in holzverarbeitenden Unternehmen stehen. Aber auch in anderen Bereichen – wie etwa der Kunststoffverarbeitung – sehen wir Potenzial für Hand Guard.

Abschließend: Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung mit dem Deutschen Arbeitsschutzpreis?

Einerseits war der Preis eine Bestätigung für uns, dass unser Lösungsweg richtig ist. Andererseits hat sie uns – das gesamte Entwicklungsteam – noch einmal unglaublich motiviert. Das gibt unserer Arbeit einen zusätzlichen Motivationsschub. Insbesondere deshalb, weil von einer unabhängigen Instanz bestätigt wurde, dass wir einen wesentlichen Beitrag zur Arbeitssicherheit leisten. Sie können sicher sein, dass wir noch weitere Ideen haben, um Verbesserungen im Arbeitsschutz zu erzielen.

Herr Schröder, vielen Dank für das Gespräch.

Alle News aus der Welt der Gesundheit abonnieren

Unsere kostenlosen Newsletter versorgen Sie regelmäßig mit Neuigkeiten und Angeboten rund um den gesunden Lebensstil – speziell zugeschnitten auf Ihre Interessen.

Jetzt abonnieren!
  • Handwerker-Team bei der Arbeit

    Arbeiten

    Fehl­zeiten reduzieren mit einem gesunden Betriebs­klima

    Das Betriebsklima spielt eine entscheidende Rolle: Wer sich wohlfühlt, meldet sich seltener krank. So können Betriebe durch eine positive Arbeitsatmosphäre Fehlzeiten reduzieren. Artikel lesen

  • Health Award und Team des Stautenhof

    Arbeiten

    Corporate Health Award 2020: Wie ein Bio-Hof durch BGM den Award gewann

    Der Sonderpreis "Gesundes Handwerk" im Rahmen des Corporate Health Award geht an den Stautenhof. Wir zeigen, was den Biohof aus Nordrhein-Westfalen ausmacht. Artikel lesen

  • Handwerker in Halle bespricht etwas mit dem Chef

    Arbeiten

    Flexible Arbeits­zeit im Hand­werk: Diese Modelle gibt es

    Homeoffice auf dem Bau? Schwierig, trotzdem gibt es auch für Handwerksunternehmen flexible Arbeitszeitmodelle. Diese Möglichkeiten gibt es. Artikel lesen