Ein starkes Netzwerk: Was Kindern krebskranker Eltern hilft

Redaktion
IKK classic

Während der dritten Stillzeit ertastete Julia Zimmer einen Knoten in ihrer Brust. Ein Schock, nicht nur für sie. Wie gehen Kinder krebskranker Eltern damit um, wenn die Mutter Brustkrebs hat? Ein Erfahrungsbericht zeigt, dass Betroffene nicht hilflos sind.

Julia Zimmer (Name von der Redaktion geändert) erinnert sich noch ganz genau an den Tag ihrer Brustkrebsdiagnose. Es war der Geburtstag ihres Mannes, kurz vor Weihnachten. „Zuerst wollte ich die Diagnose nicht wahrhaben: Ich, lebensbedrohlich erkrankt? Das kann doch nicht sein. Ich war 32 Jahre alt, hatte drei Kinder gestillt, rauchte nicht, lebte gesund. Die Frage nach dem Warum wurde bald abgelöst durch ein tiefes Gefühl der Ohnmacht und Angst.“

Erste Gedanken und Ziele nach der Diagnose

Bei ihrem Brustkrebs handelt es sich um eine besonders aggressive Form und Biologie (HER2-positiv, G3, hoher Ki67) mit bereits befallenen Lymphknoten. Die Prognose für die nächsten fünf Jahre könnte besser ausfallen.

Der erste Gedanke nach der Diagnose galt ihren Kindern. „Ich hatte und habe wahnsinnige Angst, sie nicht beim Aufwachsen begleiten zu dürfen.“ Aber Julia ist eine Macherin und hat nach dem ersten Schock viel nachgedacht, eine Beratung in Anspruch genommen und sich Unterstützung geholt. Ein starkes Netzwerk kann nicht nur den betroffenen Elternteil entlasten, sondern auch die Kinder krebskranker Eltern unterstützen. Ihr erstes großes Ziel, über das sie sich viele Gedanken gemacht hat: ein Teil des Lebens ihrer Kinder bleiben.

Julias Tipp: Besondere Erinnerungen festhalten

  • Ich habe angefangen, Erinnerungsbücher für meine Kinder auszufüllen.

  • Mein Mann hat viele Fotos gemacht, die mich gemeinsam mit meinen Kindern zeigen: beim Spielen, beim Kuscheln, aber auch bei emotionalen Momenten. Wir wollen alles authentisch und so wie es ist konservieren. Wir wollen mich, sie und die Momente, die wir gemeinsam haben, festhalten.

  • Ich habe auch Videos von Alltagssequenzen gemacht: Zum Beispiel habe ich aufgenommen, wie ich meinem Sohn abends ein Buch vorlese oder wie wir zusammen Ostereier färben. Etwas, das für den Moment banal erscheinen mag, aber in der Zukunft für alle drei eine schöne Erinnerung sein könnte.

Den Kindern Krebs erklären

Wie macht man kleinen Kindern das Unfassbare begreiflich? Dieser Frage mussten sich auch Julia und ihr Ehemann stellen. „Ich möchte sie nicht anlügen. Das ist mir wichtig. Gleichzeitig ist die Wahrheit nicht immer kindgerecht.“ Dabei gibt es nicht nur die eine richtige Wahrheit. Jedes Elternpaar muss eigene Abwägungen treffen, in deren Mittelpunkt das Wohlergehen ihres Nachwuchses in seiner Gesamtheit stehen sollte.

Julia zum Beispiel hat sich gründlich auf das Gespräch vorbereitet. „Ich hatte vorher kaum Berührungspunkte mit dem Thema Krebs und wusste nicht, was genau auf mich zukommt.“ Um einen besseren Überblick über die Situation zu bekommen, hat sich die Mutter zunächst bei ihren Ärzten informiert und in die Thematik eingelesen. Einen Tag später sprach das Paar dann mit den Dreien. Je früher, desto besser lautete die Devise, denn Kinder haben sehr feine Antennen für Veränderungen und spüren sie, auch wenn sie sie noch nicht begreifen.

„Gemeinsam haben wir erklärt, dass ich eine schlimme Krankheit bekommen habe. Diese Krankheit nennt sich Krebs.“ Die Erkrankung beim Namen zu nennen war dem Paar wichtig, damit keine falschen Assoziationen mit dem roten Meerestier entstehen.

Die wirkliche Tragweite einer solchen Erkrankung können Kinder in diesem Alter nicht begreifen. Dennoch hat sie meine Erkrankung beschäftigt.

Julia Zimmer

Und auch über den weiteren Verlauf und die Behandlung hat die Familie gesprochen. Was sie sagten, sollte auch der Wahrheit entsprechen. Aber in kindgerechter Form, erinnert sich Julia: „Wir haben erklärt, dass ich nun eine Chemotherapie mit sehr starken Medikamenten bekommen werde, die dazu führen, dass mir die Haare ausfallen und mir übel werden wird. Die Medikamente haben deswegen solch starke Nebenwirkungen, weil sie eine so starke Wirkung haben, um die Erkrankung bekämpfen zu können.“ Die Eltern betonten auch die wichtige Rolle der behandelnden Ärzte, die sich gut mit der Krankheit auskennen und alles dafür geben werden, damit Mama wieder gesund werden kann.

Die an Brustkrebs erkrankte Mutter hat Psychologie studiert und erklärt: „Die wirkliche Tragweite einer solchen Erkrankung können Kinder in diesem Alter nicht begreifen. Dennoch hat sie meine Erkrankung beschäftigt, was sich zum Beispiel darin zeigte, dass mein dreijähriger Sohn meiner Brust Bilder malte, damit sie sich darüber freuen kann.“

 

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Das Umfeld von Kindern krebskranker Eltern informieren

Auch ist es wichtig, das Umfeld (Erzieher, Lehrer oder auch Eltern von Kindesfreunden) einzubeziehen. Wenn man den Kindergarten oder die Schule von Kindern krebskranker Eltern frühzeitig informiert, sind die dortigen Fachkräfte sensibilisiert und können Verhaltensveränderungen frühzeitig erkennen, einordnen und untereinander sowie mit den Eltern kommunizieren.

„Wir haben das Glück, wahnsinnig kompetente und liebevolle Erzieher im Kindergarten zu haben. Mit ihnen haben wir häufig das Gespräch gesucht.“

Mit Kindern über den Tod sprechen

Die Möglichkeit, dass Mama an ihrer Erkrankung sterben könnte, wollte das Paar bis jetzt nicht explizit kommunizieren. Es wurden bislang keine Metastasen gefunden und daher erfolgte die Behandlung kurativ, das heißt: auf Heilung abzielend. „Sollten Metastasen auftreten, wäre ich eine Palliativ-Patientin und dann würden wir einen Umgang finden müssen, gegenüber den Kindern Worte für diese neue Situation zu finden.“ Mit ihrem Mann hat Julia die Möglichkeit des eigenen Todes natürlich thematisiert und mit einer Patientenverfügung wie auch einer Vorsorgevollmacht entsprechende Vorkehrungen getroffen.

Den Alltag für Kinder krebskranker Eltern organisieren

Julias Mann war nach der Diagnose stark gefordert. Durch die Chemo und die OP war sie lange nicht in der Lage, ihre Kinder richtig zu versorgen. „Mein jüngster Sohn konnte noch nicht laufen und es war mir nicht möglich, ihn zu heben. Mein Mann übernahm eine Vielzahl von Aufgaben, wie zum Beispiel das Füttern mit dem Fläschchen, was mir aufgrund der Schmerzen kaum möglich war.“ Zu Beginn besuchte ihr jüngster Sohn auch noch keine Krippe. Für den Familienvater galt es die Kinderbetreuung, die Alltagsorganisation und die eigene Belastung miteinander in Einklang zu bringen.

Die ganze Umstrukturierung des Alltags war für die Kinder eine tiefgreifende Erfahrung: „Plötzlich änderte sich alles. Ich lag viel im Bett, mein Mann war bis an den Rand seiner Möglichkeiten und darüber hinaus gefordert und ich war ständig bei Ärzten oder im Krankenhaus. Natürlich war auch die Stimmung bei uns zuhause weniger unbeschwert und harmonisch als zuvor. Mein Mann und ich stritten häufiger und unser Nervenkostüm war dünner.“

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Hilfe und Unterstützung für die ganze Familie

Julia und ihre Familie bauten sich ein starkes Netzwerk aus Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Psychotherapeuten und Haushaltshilfe auf. Hier ein paar der wichtigsten Tipps für Betroffene:

  • Krebsberatungsstellen

    In fast jeder Stadt gibt es Krebsberatungsstellen. Auch das Krankenhaus oder der behandelnde Onkologe können meist zu Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen verweisen.

  • Selbsthilfegruppen

    Auch online gibt es Selbsthilfegruppen wie die „Netzwerkstatt Krebs“

  • Für die Krebspatientin

    KrebspatientInnen können psychoonkologische Unterstützung in Anspruch nehmen

  • Für Kinder krebskranker Eltern

    Kinder krebskranker Eltern können eine Stärkungsgruppe besuchen. Diese ist oft an gemeinnützige Vereine angegliedert, zum Beispiel: Brustkrebsverein Pinke Zitronen e. V. in Hannover

    Übersicht regionaler Angebote
  • Therapiepuppen für Kinder

    Mithilfe von Therapiepuppen können Kinder einen spielerischen Zugang zum Krankheitserleben und -verarbeitung bekommen. „Wir haben unsere Spielpuppe Viola getauft und ich habe mich bemüht, mit Hilfe dieser Therapiepuppe einen greifbaren Zugang zu dem Krankheitserleben meiner Kinder zu bekommen.“

  • Für den Partner

    Gespräche bei einer Psychotherapeutin für (Ehe-)PartnerInnen

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  • Für die Alltagsorgnisation

    Eine Haushaltshilfe wird über die Krankenkasse bewilligt. Um die Organisation der Haushaltshilfe muss man sich jedoch selbst kümmern. Es lohnt sich frühzeitig bei den Sozialdiensten anzufragen, da die Kapazitäten oft knapp sind.

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Reaktionen der Kinder auf den Krankheitsverlauf

Trotz der Erklärung waren die Kinder teilweise wütend, traurig oder verständnislos, wenn Mama nicht so an ihrem Alltag teilnehmen konnte, wie sie sich das gewünscht hätten. „Dies waren für mich allesamt nachvollziehbare Gefühle, aber es tat mir dennoch leid, ihre Wünsche nicht erfüllen zu können.“

Auf ihre äußerlichen Veränderungen haben sie erstaunlich gut reagiert, erzählt Julia: „Ich schätze, dadurch, dass ich es als normal vorlebte, erst ohne Haare und später auch ohne Brüste durch die Wohnung zu laufen, haben auch meine Kinder diesen äußeren Merkmalen keine besondere Beachtung geschenkt.“

Einmal nahm die krebskranke Mutter ihre Tochter mit zur ambulanten Therapie: „Sie konnte dann sehen, dass ich dort auf einem gemütlichen Sessel sitze und mir die Chemotherapie selbst nicht weh tut.“ Damit konnte sie ihrer Tochter zeigen, dass die Realität weniger erschreckend ist als das, was sich das Mädchen sonst unter Umständen in seiner Fantasie ausgemalt hätte.

Die guten Tage als Krebspatientin genießen

Die Erkrankung ist ständig präsent, gibt Julia zu. Aber das schließt nicht aus, dass es ihr gleichzeitig sehr gut geht. An diesen Tagen ist sie mit ihrer Familie viel draußen in der Natur: ob im Wald spazieren, den Dinopark besuchen, Seifenblasen machen oder Fahrrad fahren. „Ich genieße die Zeit mit den Kindern. Nicht nur die großen Momente wie Geburtstage oder Weihnachten, sondern jedes in die Arme schließen oder Gute-Nacht-Sagen. Und ich genieße es, noch am Leben zu sein.“

Aber auch ganz allein und nur für sich tut die Dreifach-Mama etwas: "Ich schreibe gerne, das ist mein Ventil und hilft mir." Ihre zweite große Leidenschaft ist die Fotografie. Mit ihrer Kamera hält Julia besondere Momente und ein breites Spektrum an Emotionen fest. „Während meiner Erkrankung ist in mir der Wunsch entstanden, etwas zu tun, was nachhaltig ist und Sinn macht.“

Was im Leben wirklich zählt

Oft hat die 34-Jährige große Ängste, die sie fast verzweifeln lassen. Aber nicht selten laufen ihr vor lauter Glück noch am Leben zu sein, einfach die Tränen herunter. Und auch die schlechten Tage sind wertvoll, erklärt die Mutter. Während der Akutphasen der Erkrankung haben die Kinder sehr viel mehr Fernsehen geschaut, als Julia sonst gutheißen würde. Aber trotzdem hört man ihr an, wie kostbar jeder dieser Momente für sie ist: „Manchmal lagen wir einfach zusammen auf dem Sofa und haben uns Disneyfilme angeschaut.“

Ja, ich werde irgendwann sterben. Aber ich werde es nicht heute tun.

Julia Zimmer

Julia Zimmer konnte ihr Leben schon vor der Erkrankung genießen und wertschätzen. Dennoch war sie wie jeder von uns häufig mit ihren Gedanken in der Vergangenheit oder der Zukunft. „Jetzt weiß ich nicht, ob es eine Zukunft geben wird. Diese Vorstellung ist meistens grausam, macht manchmal aber auch frei. Die Möglichkeit meines vorzeitigen Todes ist mir ständig bewusst und aus diesem Grund ist auch der jetzige Moment umso wertvoller. Ja, ich werde irgendwann sterben. Aber ich werde es nicht heute tun. Die Erkenntnis aus ihrer Krebserkrankung ist gleichzeitig schlicht und banal: Was zählt, ist die Liebe. Die, die ich gebe und diejenige, die ich bekomme."

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Veröffentlicht am 06.06.2019