Wie groß war bei Ihnen am Anfang die Verunsicherung in Sachen Ernährung?
Achim Sam: Obwohl ich Ernährungswissenschaftler bin, war ich anfangs überfordert. Ich stand im Supermarkt und wusste nicht mehr, was ich kaufen soll. Der Konflikt bestand darin, dass Verena einen hormonabhängigen Krebs hat und die Leitlinientherapie zur Aufgabe hat, bestimmte Hormone wie Östrogen zu unterbinden, um die Erkrankung zu hemmen. Gleichzeitig wurde uns geraten, komplett auf tierische Produkte zu verzichten. Nur wenn man sich dann ausschließlich vegan ernährt, besteht das Problem, dass in pflanzlichen Lebensmitteln wie z. B. in Soja sogenannte Phytoöstrogene enthalten sind, die eine hormonähnliche Wirkung haben und somit in einem zu hohen Maße in der Ernährung wiederum einen negativen Einfluss auf die Therapie haben können. Ich war total verunsichert, denn jedes Fass, das man aufmacht, wirft neue Fragen auf.
Verena Sam: Vieles, was sich am Anfang vielversprechend anhört, hat letztlich auch eine Kehrseite. Du bekommst so viele Tipps und gut gemeinte Ratschläge zu hören. Zum Beispiel, dass Sellerie oder grüner Tee den Krebs bekämpfen. Aber bei grünem Tee, um bei diesem Beispiel zu bleiben, kann es auch sein, dass sein hohes antioxidatives Potenzial letztlich dazu führt, dass nicht nur die guten Zellen, sondern auch Krebszellen während einer Chemotherapie geschützt werden. Analog verhält es sich mit hohen Dosierungen von Vitamin C. Das ist dann die Kehrseite.
Achim Sam: Man muss verstehen, dass Krebs eine individuelle Erkrankung ist. Wenn du 100 Patienten hast, die Darmkrebs haben, sind das 100 verschiedene Erkrankungen mit 100 verschiedenen Krankheitsverläufen, die aber meist einheitlich behandelt werden. Das ist jedoch wenig zielführend oder zumindest für den individuellen Patienten nicht maximal wirksam. Man muss das Thema Krebs sowohl in der Medizin, als auch bei den unterstützenden Maßnahmen individueller angehen und denken. Das Maß, das Verena an Sport macht, könnte man jetzt nicht auf meine Mutter übertragen. Man muss für sich den richtigen Weg und das richtige Maß finden.