Period Shaming: Warum wir über die Menstruation reden sollten

Redaktion
IKK classic

Rund die Hälfte aller Menschen hat sie, aber kaum jemand will offen darüber sprechen: die Menstruation. Period Shaming bezeichnet das Schamgefühl über die eigene Periodenblutung. Das Fatale: Schweigen führt zu Unwissenheit und das kann bei der Periode sogar gesundheitliche Folgen haben. Ein Gespräch über das Tabuthema Menstruation.

Viele Frauen kennen es: Sie sitzen beim romantischen Date im Restaurant – und plötzlich setzt die Periode ein. Auf der Toilette dann der Schreck: keine Tampons dabei! Im Flüsterton fragen sie einen anderen weiblichen Gast nach Tampon oder Binde, doch die Frage ist oft unangenehm. Dieses Gefühl nennt sich „Period Shame“: die Scham vor der Menstruation. Doch woher kommt das eigentlich und welche Folgen kann es haben, wenn Menschen nicht über die Periode reden, weil sie ihnen peinlich ist?

© privat

Antworten kennt Annemarie Harant. Sie gründete gemeinsam mit Bettina Steinbrugger im Jahr 2011 das Unternehmen „erdbeerwoche“. Die Initiative setzt sich für die Aufklärung zum Thema Menstruation ein, unter anderem mit der digitalen Lernplattform „Ready for Red“. Ihr Ziel ist es, allen Mädchen und Frauen einen selbstbestimmten und wertschätzenden Umgang mit ihrem Zyklus und ihrem Körper zu ermöglichen.

Tabuthema Menstruation

  • Frau Harant, was ist eigentlich das Problem mit dem Thema Menstruation, warum braucht es die Initiativen "erdbeerwoche" und "Ready for Red"?

    Das Problem ist, dass Menstruation immer noch als Tabu wahrgenommen wird, obwohl es viele Menschen betrifft. Genau in diesem Moment hat statistisch gesehen jede fünfte Frau auf der Welt ihre Periode. Im Alter von etwa 15 bis 50 Jahren verbringen sie etwa 3.000 Tage mit ihrer Regel. Gleichzeitig wissen aber 17 Prozent der Mädchen und jeder dritte Junge nicht, was Menstruation eigentlich bedeutet. In einer Umfrage haben wir herausgefunden, dass mehr als die Hälfte der Mädchen nicht weiß, wann ein Tampon gewechselt werden sollte – und das hat gesundheitliche Auswirkungen.

    Und nicht nur das: Diese Unwissenheit hat auch ökonomische, soziale und ökologische Folgen. 98 Prozent der erwachsenen Frauen leiden unter Menstruationsbeschwerden. Darüber wird viel zu wenig gesprochen und auch zu wenig daran geforscht. Frauen können gar nicht gezielt etwas tun, um ihre Beschwerden zu mildern. Das erschwert ihnen den Alltag, das ist mit sozialen Folgen gemeint. Menstruationsprodukte kosten außerdem Geld – und das kann eine finanzielle Belastung darstellen. Das ist die ökonomische Dimension.

  • Und ökologische Folgen? Geht es da um problematische Inhaltsstoffe?

    Unter anderem, ja. Die meisten konventionellen Produkte enthalten erdölbasierten Kunststoff, was ein ökologisches Problem darstellt. In Tampons, Binden und Slipeinlagen wurden zudem schon problematische Inhaltsstoffe wie Weichmacher oder Formaldehyd gefunden. Außerdem müssen die Inhaltsstoffe der Produkte nicht gekennzeichnet werden, wie es bei anderen Produkten eigentlich ganz selbstverständlich ist. Aber das wird auch immer strenger kontrolliert, da hat sich schon einiges getan. Bio-Binden haben darüber hinaus den Vorteil, dass sie klinisch erwiesen Hautirritationen im Intimbereich vorbeugen können.

    Die fehlende Aufklärung hat aber auch insofern ökologische Folgen, da von jeder menstruierenden Person im Schnitt zwischen 10.000 und 17.000 Menstruationsprodukte wie Tampons und Binden verbraucht werden – und das ist natürlich am Ende auch Müll, der in vielen Fällen in der Toilette landet, was wiederum für die Kläranlagen ein Problem darstellt.

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Unwissenheit und Mythen um die Periode

  • Woher kommt dieses Unwissen? Ist das auch eine Bildungsfrage?

    Das hat ganz unterschiedliche Gründe. Einer ist, dass uns seit Jahrtausenden eingetrichtert wurde, dass die Periode etwas Unreines sei. Das wurde teilweise auch durch die Weltreligionen so kommuniziert und hat das Thema mystifiziert. Und das spiegelt sich dann zum Beispiel in der Werbung wider, wenn blaue Flüssigkeit verwendet wird, um Menstruationsblut darzustellen. 

    Aber auch in der Schulbildung: Im Biologieunterricht wird die Menstruation sehr stiefmütterlich behandelt, obwohl es besonders für junge Menschen ein wichtiges Thema ist. In manchen Ländern ist es sogar so, dass Mädchen überhaupt nicht wissen, was da aus ihrem Körper kommt, und glauben, dass sie sterben müssen. 

    So extrem ist es in unseren Breitengraden glücklicherweise nicht. Trotzdem wünschen sich viele Mädchen mehr Informationen darüber, was in ihrem Körper passiert, wie Menstruationsprodukte richtig anzuwenden sind und was man gegen die allmonatlichen Schmerzen tun kann. Es geht also darum, das Thema in die Alltagsrealität zu holen, was im Schulunterricht aktuell noch nicht stattfindet. Und genau deswegen haben wir mit "Ready for Red" die erste digitale Lernplattform zum Thema Menstruation und Zyklus entwickelt.

  • Was können denn gesundheitliche Auswirkungen sein, wenn man Menstruationsprodukte falsch verwendet?

    Besonders bei Menstruationsprodukten, die im Inneren des Körpers angewandt werden – also Tampons oder Menstruationstassen – ist Hygiene besonders wichtig. Das beginnt beim Händewaschen vor dem Einsetzen der Produkte, um zu verhindern, dass Bakterien in den Körper gelangen.

    Die Produkte sollten deshalb regelmäßig gewechselt und Menstruationstassen so ausgekocht werden, wie es auf der Verpackung empfohlen wird. Gute Hygiene gilt auch für Alternativen wie wiederverwendbare Stoffbinden oder andere Menstruationswäsche. 

  • Was sind denn die größten Mythen oder Missverständnisse beim Thema Menstruation?

    Ein großer Irrglaube ist, man könne während der Periode nicht schwanger werden. In unserer Umfrage haben das tatsächlich 53 Prozent der 11- bis 16-jährigen Jungen angegeben. Ein weiterer Punkt ist die Blutmenge: 70 Prozent der Frauen überschätzen die durchschnittliche Menge ihres Blutflusses. Im Schnitt sind es nur 30 bis 70 Milliliter, die eine Frau während einer Menstruation verliert.

    Auch glauben viele, ein Zyklus dauere genau 28 Tage, allerdings ist das nur bei 12 Prozent der Frauen oder Mädchen der Fall. Der Zyklus variiert – auch 20 bis 40 Tage können normal sein – und kann sich außerdem im Laufe des Lebens verändern.

Grafiken zu einer Umfrage über Beschwerden während der Periode © IKK classik

Probleme während der Periode

Was kann man gegen Period Shaming tun?

  • Vorhin haben Sie das blaue Blut in der Werbung erwähnt. Was halten Sie denn von der Debatte um die "Pinky Gloves"?

    Das war spannend, weil es das Thema Menstruation stark ins Licht der Öffentlichkeit gerückt hat und viele Frauen aufgeschrien haben, dass sie keine Einmal-Handschuhe zur Tamponentsorgung brauchen. Es ist auch ein Beispiel für komplett sinnlose Produktentwicklungen, die es ja in der Vergangenheit immer mal wieder gab. Ein anderes Beispiel ist ein Schamlippenkleber, der verhindern sollte, dass Menstruationsblut hinausläuft. 

    Kritisch war aber im Fall der "Pinky Gloves" auch der Nachhaltigkeitsaspekt: Rund zehn Prozent der Frauen nutzen eine Menstruationstasse und dann kommt so ein Produkt, das wieder mehr Plastikmüll verursacht. Und dann standen auch noch ausschließlich Männer hinter dem Produkt.

    Da kamen also mehrere Aspekte zusammen: Das individuelle Schamgefühl und das Thema Nachhaltigkeit – besonders auf Social Media gab es viel Resonanz. Es haben sich Frauen zusammengeschlossen, die nicht wollen, dass so mit dem Thema umgegangen wird. Es ist aber letztlich auch ein positives Zeichen, dass es diese Diskussion gibt. 

  • Was sollte denn passieren, damit die Menstruation diesen Stempel "Tabuthema" loswird?

    Das Thema muss in allen gesellschaftlichen Bereichen ernst genommen werden. Letztlich geht es um die reproduktive Gesundheit unserer Gesellschaft. Wir haben drei zentrale Vorschläge: Erstens sollte das Thema flächendeckend in der schulischen Bildung integriert werden. Zweitens sollte die sogenannte Periodenarmut beendet werden, indem Menstruationsprodukte in öffentlichen Gebäuden, wie zum Beispiel Schulen, kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Und drittens Transparenz bei den Inhaltsstoffen und Materialien herstellen. Erst so kann man auch eine Diskussionsgrundlage herstellen.

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Offen das Gespräch suchen

  • Welche Rolle können denn Männer dabei spielen?

    Grundsätzlich ist unser Ansatz, dass alle Menschen in unserer Gesellschaft über Menstruation Bescheid wissen sollten. Immerhin existieren wir ja alle nur deswegen, weil wir eine Mutter haben, die einen funktionierenden Zyklus hat oder je nach Alter hatte. 

    Die meisten Jungs finden das Thema peinlich und nur jeder Dritte im pubertierenden Alter weiß, was Menstruation überhaupt bedeutet. Es geht darum, das Thema ernst zu nehmen und da fängt es schon bei der Aussage an: "Die hat doch ihre Tage", wenn ein Mädchen mal schlecht drauf ist. Diese Mythen um das Thema sollte man aus der Welt schaffen.

    Natürlich können Männer auch Frauen mit Regelbeschwerden unterstützen, zum Beispiel mit Wärmflasche oder Tee. Und wenn man noch einen Schritt weiterdenkt: Die meisten Führungspositionen sind immer noch männlich besetzt. Deswegen ist es wichtig, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft das Thema ernst nehmen und Bescheid wissen.

    Denn auch im Arbeitskontext gibt es noch eine Lücke. Bei einer Umfrage von uns haben nur elf Prozent der Befragten angegeben, mit ihrer Führungskraft über Regelbeschwerden gesprochen zu haben, während über 40 Prozent schon einmal wegen ihrer Schmerzen der Arbeit ferngeblieben sind. Allerdings sind diese Schmerzen für fast alle Frauen ein Problem, das im betrieblichen Kontext oft unter den Teppich gekehrt wird. 

  • Haben Sie konkrete Tipps für Mädchen oder Frauen, die sich mit dem Thema unwohl fühlen?

    Zunächst ist es wichtig, sich klarzumachen: 98 Prozent der Frauen haben Menstruationsbeschwerden – man ist also nicht allein. Das macht den ersten Tipp vielleicht etwas einfacher: Das Gespräch suchen, mit Freundinnen, Bekannten, Familienmitgliedern. Die Wahrscheinlichkeit ist immens hoch, dass sie ähnliche Erfahrungen machen und weiterhelfen können. Und je öfter und je offener man über das Thema Menstruation spricht, desto mehr Offenheit kommt auch zurück. 

    Wer sich damit trotzdem noch unwohl fühlt, kann sich auch an uns wenden, über Instagram oder Facebook, oder eben auch an andere Personen auf den Social-Media-Plattformen. Informationen sind wichtig, um die eigene Scham abzubauen. Also Fragen stellen, lesen oder Aufklärungsvideos schauen.

    Auch Erwachsene sind gefragt – sie können in ihrem Umfeld aufklären und als Vermittler auftreten. Wir stellen mit "Ready for Red" alle Materialien kostenlos zur Verfügung, wie zum Beispiel interaktive Lernspiele für Jugendliche oder Materialien für pädagogische Fachkräfte.

    Ab sofort gibt es auch ein Augmented-Reality-Zusatzmodul für Ready for Red. Eine Kombination aus dreidimensionaler Web- und Augmented-Reality-Darstellung ermöglicht einen Einblick in den weiblichen Körper und die Funktionsweise von Periodenprodukten. Mit diesem Modul "3D im Raum" stellt man also ein dreidimensionales Bild der weiblichen Anatomie per Smartphone in den Raum und kann sich drumherum bewegen. So erkennt man, wo genau zum Beispiel Menstruationsprodukte zum Einsatz kommen und wie sie funktionieren.

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Veröffentlicht am 24.11.2021

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