Junge Frau schaut erstaunt in ihr Smartphone

Soziale Ansteckung: Oh, ich glaube, das hab‘ ich auch!

Im IKK classic Podcast „Erwachsen werden? Lass machen.“ geht es um Selbstdiagnosen im Netz. Ihr kennt das vielleicht auch: Ihr lest oder seht im Netz etwas über eine bestimmte Krankheit und stellt dann fest, dass ihr die Symptome vermeintlich auch habt? Dann könnte das am Effekt der sozialen Ansteckung liegen. Wir erklären euch, was das genau ist und was ihr dagegen tun könnt.

Sind psychische Störungen übertragbar? Nicht im direkten Sinn. Natürlich kann sich niemand mit ADHS oder Depressionen anstecken. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befürchten mittlerweile allerdings: Der Glaube, an etwas zu leiden, kann jeden treffen.

In Podcast-Folge #16 spricht das Moderatoren-Duo Vivi und Marco mit der ADHS-Influencerin Ada (@dopamine_on_fleek) unter anderem darüber, wie entsprechende Videos im Netz diesen Effekt auslösen können. Denn in Zeiten von Massenmedien und sozialen Netzwerken kann sich dieser Glaube schneller verbreiten als jemals zuvor. Grund genug, sich das Phänomen der sozialen Ansteckung genauer anzuschauen.

Was ist soziale Ansteckung?

Es handelt sich hierbei um eine Theorie der Massenpsychologie. Meist wird dabei untersucht, wie sich Emotionen oder Überzeugungen in einer großen Gruppe von Menschen verbreiten und angleichen. Es kann aber auch um die vermeintliche Verbreitung von Diagnosen gehen. Wenn immer häufiger über eine bestimmte Krankheit berichtet oder gesprochen wird, können Menschen zu der Überzeugung gelangen, dass sie selbst daran leiden, ohne mit einer Ärztin oder einem Arzt darüber gesprochen zu haben.

Bekannte Fälle von sozialer Ansteckung

Dieses Phänomen ist jedoch nicht erst mit den Social-Media-Plattformen entstanden. Schon in der Vergangenheit gab es Fälle von sozialer Ansteckung, und manchmal wird dieser Effekt sogar bewusst eingesetzt. Wir stellen zwei prominente Beispiele vor.

Der Werther-Effekt: So bezeichnet man die Hypothese, dass die mediale Verbreitung von Suiziden zu einer Erhöhung der Suizidrate führt. Seinen Ursprung hat der Begriff im Jahr 1774, als Johann Wolfgang von Goethe den Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ veröffentlichte, in dem der Titelheld aus Liebeskummer Selbstmord begeht. Danach gab es zahlreiche Nachahmungen. Seit 1997 gibt es deshalb die Empfehlung des Deutschen Presserats, über Suizide nur mit Zurückhaltung und möglichst wenig Details zu berichten.

Sweetening: Jeder kennt es, viele sind davon sogar genervt. Die Rede ist von den Lachkonserven amerikanischer Sitcoms. Die Lacher vom Band werden dabei nicht nur eingesetzt, um lustige Situationen zu verdeutlichen. Sie sollen vor allem das Publikum vor dem Bildschirm dazu bringen, selbst ins Lachen einzustimmen. Dem Zuschauer wird suggeriert: Wenn alle lachen, dann muss es lustig sein und ihm gefällt die Sendung besser, als wenn er nur allein lacht.

Erwachsen werden? Lass machen! – der IKK-Podcast

Folge #16: Selbstdiagnose ADHS? Falschinformationen aus dem sozialen Netz Jetzt die neue Folge hören!

Soziale Ansteckung im Netz

Auf Instagram oder TikTok spricht ein Influencer über seinen Alltag mit ADHS oder eine Influencerin berichtet von ihren Angststörungen. Unter dem Post: zahlreiche Kommentare von Menschen, die die Krankheit nun auch bei sich vermuten.

Eine Studie aus den USA hat dieses Phänomen 2021 belegt. Nach einem Anstieg von TikTok-Posts, in denen Tourette-ähnliche Symptome beschrieben und gezeigt wurden, war auch ein spürbarer Anstieg an Patientinnen und Patienten mit diesen Symptomen in neurologischen Kliniken festgestellt worden.

Die Autorinnen und Autoren der Studie fanden klare Hinweise darauf, dass es sich hierbei nicht um eine angeborene neurologische Krankheit handelte, um eine Fehlanpassung der Informationsverarbeitung im Gehirn. Ihr Fazit: Das Gehirn ahmt ein Krankheitsbild nach und die betroffene Person erlebt die Symptome tatsächlich – ohne an der Erkrankung zu leiden.

Dass sich soziale Ansteckung in sozialen Netzwerken so schnell verbreitet, liegt vor allem am Algorithmus. Wer sich Videos zu einer bestimmten Krankheit ansieht, der bekommt auch immer mehr von ihnen im Newsfeed angezeigt. Und je öfter man mit den Symptomen konfrontiert wird, desto mehr identifiziert man sich damit.

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Ist soziale Ansteckung gefährlich?

Bei sozialer Ansteckung entwickeln die Betroffenen nicht immer Symptome. In den meisten Fällen kommt es zu einer Umdeutung bereits vorhandener Verhaltensweisen.

Gefährlich ist allerdings die Selbstdiagnose. Wenn ihr nach einem solchen Video den Verdacht habt, an einer Krankheit zu leiden, solltet ihr auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen. Nur so könnt ihr, wenn ihr wirklich betroffen seid, die richtige Behandlung und Unterstützung bekommen.

Wie vermeide ich soziale Ansteckung?

Gerade in sozialen Netzwerken ist es nicht immer einfach, sich nicht von den Inhalten beeinflussen zu lassen. Schließlich sind sie vom Algorithmus sehr gut auf uns zugeschnitten. Doch es lohnt sich nicht nur bei medizinischen Themen Folgendes zu hinterfragen:

  • Handelt es sich um eine seriöse Quelle?

  • Ist der Verbreitende Laie oder ausgebildeter Experte?

  • Bestehen die Informationen aus persönlichen Erfahrungen oder belegten Fakten?

  • Wie stark sind die beschriebenen Symptome bei mir wirklich vorhanden?

Oft hilft es schon, die eigene Reaktion auf das Gelesene oder Gesehene zu hinterfragen. Ist man dann immer noch von der eigenen Diagnose überzeugt, ist es Zeit für einen Arztbesuch.

Auch Glück ist ansteckend

Was bei der sozialen Ansteckung in unserem Gehirn passiert, kann aber auch eine positive Wirkung haben. Das sieht man schon beim oben erwähnten „Sweetening“. Wer mit einem Lächeln durchs Leben geht, macht seine Mitmenschen glücklicher.

Der Wissenschaftler Nicholas Christakis von der Elite-Universität Harvard hat das in einer Langzeitstudie sogar bestätigt. Er kam zu dem Schluss, dass Menschen sich innerhalb eines Netzwerkes mit ihren positiven Emotionen regelrecht anstecken. Mit zunehmender räumlicher Distanz nimmt dieser Effekt jedoch ab. Direkte Nachbarinnen und Nachbarn hatten den größten Einfluss und steigerten die Zufriedenheit ihres Umfelds um 34 Prozent.

Man könnte sagen, dass unsere Psyche den Effekt der sozialen Ansteckung auch nutzt, um unsere Stimmung zu verbessern. Um die negativen Auswirkungen dieses Phänomens zu vermeiden, bedarf es einer gewissen Wachsamkeit unsererseits – vor allem, wenn wir uns im Internet bewegen.

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