Hochstapler-Syndrom: Ist das mein Verdienst oder hatte ich einfach Glück?

Es gilt als eine extreme Form des Selbstzweifels: das Impostor-Phänomen, auch Hochstapler-Syndrom genannt. Wir erklären, was dahintersteckt und wie man seine Selbstzweifel als trügerische Selbsttäuschung entlarven kann. Zudem erfahren Arbeitgeber, wie sie mit dem besonderen Phänomen am besten umgehen.

Was ist das Hochstapler-Syndrom?

Mit dem Begriff „Hochstapler“ sind eigentlich Blender gemeint. Ihr Kennzeichen: große Klappe, nichts dahinter. Doch hinter dem sogenannten Hochstapler-Syndrom verbirgt sich genau das Gegenteil: kleine Klappe, viel dahinter. Trotz überragender Leistungen und Dauer-Lob von Kollegen und Freunden plagen Betroffene Selbstzweifel. Sie fürchten sich davor, dass jemand ihre – subjektiv empfundene – Unfähigkeit aufdecken könnte und begründen Erfolge mit Fremdeinwirkungen oder dem glücklichen Zufall. Das Phänomen ist übrigens auch unter dem Namen Impostor-Syndrom bekannt, wobei Impostor das englische Wort für Betrüger ist. Denn Betroffene glauben tatsächlich, ihre Umwelt zu betrügen.

Der Effekt bezieht sich meistens auf die Arbeitswelt, da diese eng mit dem Leistungsgedanken verknüpft ist. Jedoch kann sie sich ebenfalls ins Privatleben durchziehen. Gedanken wie: „Was passiert, wenn der Partner merkt, dass man doch nicht so ein toller Mensch ist, wie er denkt?“ sind keine Seltenheit. Einige Wissenschaftler sprechen lieber von einem Impostor-Selbstkonzept. Sie scheuen sich, von einem Syndrom zu reden, da dieses Wort sofort an Krankheit denken lässt. Denn im weltweit anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen – kurz ICD – ist die extreme Form des Selbstzweifels nicht als Krankheit gelistet – zumindest nicht in der aktuell gültigen Version, dem ICD-10-GM. 

Schnell-Check: Sind Sie eine Hochstapler-Persönlichkeit?

Je mehr Aussagen Sie zustimmen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, vom Impostor-Syndrom betroffen zu sein:

  • Ich bin nicht gut genug.

  • Ich freue mich nur kurz über Erfolg – wenn überhaupt.

  • Ich habe ständig Angst, dass jemand meine Unfähigkeit aufdeckt.

  • Ich bitte selten oder nie um Hilfe.

  • Ich mag keine Komplimente.

  • Ich denke, mein Umfeld überschätzt mich.

  • Ich lege großen Wert darauf, was andere Leute denken.

Welche Folgen hat das Impostor-Phänomen für den Einzelnen?

Es kostet Betroffene unglaublich viel Kraft. Sie glauben, dass ihre Mitmenschen sie regelmäßig überschätzen und haben Angst davor, entlarvt zu werden. Das ständige Fürchten führt zu Dauerstress, was Schlafstörungen, Bluthochdruck oder soziale Isolation zur Folge haben kann. Psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen sind ebenfalls möglich. Obendrein arbeiten die vermeintlichen Hochstapler aus Angst vor ihrer Enttarnung sehr hart. So vernachlässigen sie oftmals ihre Familie, weil viel Zeit in den Job fließt. Diese Mühe wird (für den Betroffenen überraschenderweise) belohnt, indem er die Karriereleiter immer weiter nach oben klettert. Er kann ja wirklich etwas, er zeigt objektiv richtig gute Leistungen.

Allerdings glaubt er dennoch nicht daran, dass berufliche Erfolge von den eigenen Fähigkeiten abhängen. Aufgrund der Befürchtung, ein Ergebnis nicht noch einmal wiederholen zu können, lehnen Impostor-Persönlichkeiten neue Herausforderungen ab oder kündigen ihre aktuelle Stelle. Die Umstände könnten ja beim nächsten Mal weniger günstig ausfallen ...
In diesem deutlichen Ungleichgewicht zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung liegt der Unterschied zwischen dem psychologischen Phänomen und reinen Selbstzweifeln.

Welche Faktoren begünstigen ein Hochstapler-Selbstkonzept?

Selbstzweifel sind zu einem Drittel in den Genen verankert und werden zu zwei Dritteln durch die Erziehung sowie die Umwelt bestimmt. Ob die Zweifel sich zu einem Impostor-Phänomen entwickeln, hängt von mehreren Faktoren ab. Zu den möglichen Ursachen zählt die Kombination aus einem geringen Selbstvertrauen und dem hohen Anspruch, alles perfekt machen zu müssen. Zwar gibt es keine bestimmte Berufsgruppe, in der besonders viele Impostor-Persönlichkeiten vertreten sind. Allerdings finden sie sich häufiger unter Frauen und Männern mit einem höheren Bildungsniveau, die in ihrem Job sehr erfolgreich sind. Die Vermutung, dass besonders das „schwache“ Geschlecht den Löwen-Anteil des Phänomens ausmacht, liegt nahe. Jedoch belegt keine aktuellere Studie diese Unterscheidung, die in den ersten Untersuchungen zu dem Phänomen vor etwa 40 Jahren festgestellt wurden.

Folgender Fakt hingegen ist belegbar: Das zweifelnde Selbstkonzept ist bei den Menschen stärker ausgebildet, die aus einem eher bildungsfernen Elternhaus kommen und eine akademische Laufbahn einschlagen. Das Gefühl, nicht an der richtigen Stelle zu sein, lässt sie nicht los. Günstig für die Entstehung wirkt sich zudem übermäßiges Lob der Eltern und die damit verbundene „Wo-ein-Wille-ist,-ist-auch-ein-Weg“-Einstellung aus. Steht das (erwachsene) Kind dann irgendwann doch vor Schwierigkeiten, entsteht Misstrauen gegenüber den Eltern und Zweifel an der eigenen Person. Das Resultat: Für sie hat die Aufrechterhaltung des äußeren Scheins, alles perfekt machen zu können, hohe Bedeutung.

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Warum zweifeln Betroffene trotz Erfolg?

Wer viel erreicht hat, kann neue Aufgaben gelassener angehen. Eigentlich. Paradoxerweise ist bei einer Impostor-Persönlichkeit genau das Gegenteil der Fall: Je mehr sie erreicht hat, desto größer wird ihre Sorge, doch zu versagen und von anderen Menschen als Betrüger an den Pranger gestellt zu werden. Hinzu kommt der Erwartungsdruck, dass das nächste Projekt wieder gelingen muss. So haben Betroffene sowohl Angst vorm Scheitern als auch vorm Gelingen.

Warum sie trotzdem überhaupt etwas tun? Angst und Zweifel treiben sie an, die Herangehensweisen sind unterschiedlich. Einige der vermeintlichen Hochstapler stecken direkt (viel zu) viel Elan in die Bearbeitung, die anderen schieben diese so lange wie nur irgendwie möglich vor sich her und arbeitet dann im 24/7-Takt. Beide Strategien rauben extrem viel Energie und in beiden Fällen sind die Menschen hinterher davon überzeugt, „Glück“ gehabt zu haben. 

Wie gelingt es, das Hochstapler-Phänomen zu überwinden?

Spätestens, wenn die Betroffenheit das eigene Wohlbefinden, die Gesundheit und/oder die persönliche Entwicklung beeinträchtigt, ist es Zeit zu handeln. Der erste Schritt ist es, sich überhaupt bewusst zu werden, eine verschobene Selbstwahrnehmung zu haben. Vielen hilft der Gedanke, nicht allein zu sein. Daher kann bereits der Austausch in entsprechenden Internet-Foren eine große Hilfe sein.

Ufert die Betroffenheit zur Störung aus, die sich unter anderem in Depressionen und Burnout zeigt, ist eine Psychotherapie sinnvoll. Auch ein Coaching kann eine Hilfe in die richtige Richtung sein. Das Ziel sollte sein, wieder ein realistisches Bild von sich selbst aufzubauen, den inneren Kritiker auszublenden und sich eigene Fehler zuzugestehen. Wichtig ist, sich nicht mehr von der Wertung anderer Menschen abhängig zu machen. Vielmehr darf man sich schlichtweg selbst viel wert sein. 

Tipps für ein stärkeres Selbstbewusstsein

Gegen subjektive Selbstzweifel helfen diese objektiv besten Tipps.

  • Überlegen Sie sich, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Wenn Sie beispielsweise einen Vortrag nicht gut über die Bühne bringen, wird ihre Familie Sie nicht weniger lieben, Sie werden nicht schwer erkranken und Sie werden auch nicht Ihr Hab und Gut verlieren.

  • Sprechen Sie mit anderen Menschen. Wie eine Situation bewertet wird, hängt vom Blickwinkel ab. Wahrscheinlich hält der Großteil des Publikums Ihren Vortrag für ausgezeichnet. Obendrein hilft ehrliches Feedback, für die nächste Situation gerüstet zu sein.

  • Akzeptieren Sie, dass es gute und schlechte Tage gibt. Läuft es tatsächlich nicht rund, lassen Sie los und gönnen sich etwas Gutes wie einen Spaziergang, Blumen oder ein Bad.

  • Achten Sie auf Ihre Wortwahl: Wünschen Sie sich und anderen beispielsweise „Viel Erfolg“ anstatt „Viel Glück“.

  • Schreiben Sie jeden Abend drei Dinge in ein Tagebuch, die positiv waren. Sie können auch Auszeichnungen und Urkunden einkleben, um auf einen Blick zu sehen, was Sie schon erreicht haben.

  • Hören Sie auf, sich zu vergleichen. Auf der ganzen Welt wird es immer jemanden geben, der besser, schneller und erfolgreicher ist, als Sie selbst. Na und?

Was können Arbeitgeber tun

Auf den ersten Blick sind Menschen mit Hochstapler-Persönlichkeit dankbare Mitarbeiter. Sie erledigen jede Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit, sind engagiert und zuverlässig. Doch bei genauerem Hinsehen leiden deren Gesundheit und Psyche, was langfristig zu Ausfällen führen kann. Achten Sie als Arbeitgeber darauf, diese Personen und ihre Stärken zu fördern, ohne sie zu überfordern. Zudem kann es eine Hilfe sein, für alle Mitarbeiter Seminare wie Entspannungsangebote und Stressmanagement anzubieten. So fühlt sich der Einzelne nicht stigmatisiert. Sind Sie als Führungsperson selbst betroffen, nutzen Sie Ihr Wissen, um Probleme und Zwiespalte zu verstehen und gemeinsam zu lösen.

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