Kurz­arbeit in der Ausbil­dung: Was Corona für Azubis und Betriebe bedeutet

Geschlossene Berufsschulen, kurzarbeitende Ausbildungsbetriebe, abgesagte oder verschobene Prüfungen: Für Auszubildende ist der Weg durch die Corona-Krise steinig. Doch es gibt Hilfen – für sie und für die Ausbildungsbetriebe.

Petra Hartwig lernt seit August 2018 den Beruf Tourismuskauffrau in Potsdam. Die 19-Jährige arbeitet in einem mittelständischen Reisebüro in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Jetzt – nach eineinhalb Jahren ­– steht sie in der Mitte ihrer dreijährigen Ausbildung. Ein Traumjob? Ja! Petra Hartwig wollte schon immer im Tourismus arbeiten: „Menschen ihre Reisewünsche zu erfüllen, ihnen neue Horizonte zu öffnen – das ist das Größte für mich“, sagt Petra.

Doch damit ist es jetzt erst einmal vorbei. Denn die Auswirkungen des Coronavirus haben die Touristik als Erstes getroffen. Und diese Branche wird voraussichtlich auch jene sein, die am längsten leidet. Weil die Buchungen komplett eingebrochen sind, mussten die Mitarbeiter allesamt nach Hause geschickt werden. Viele Reiseunternehmen und -büros arbeiten bereits seit Wochen nicht mehr. Die Angestellten sind in Kurzarbeit Null. Petra Hartwig spürt die Verunsicherung bei ihren Kolleginnen und Kollegen – und bei sich selbst: „Was wird in Zeiten der Corona-Pandemie aus mir und meiner Ausbildung?“, fragte sie sich mehrere Tage lang.

Ausbildung in Zahlen

1,3 Millionen junge Menschen befinden sich derzeit in Deutschland in der Ausbildung. Jedes Jahr kommen mehrere Hunderttausende dazu bzw. beenden ihre Ausbildung, meist nach drei Jahren. 939 Euro brutto beträgt das durchschnittliche Monatsgehalt von Auszubildenden derzeit in Deutschland. Dabei gibt es allerdings große Unterschiede zwischen den jeweiligen Ausbildungsberufen:

515 Euro brutto beträgt das Minimum der seit diesem Jahr geltenden Mindestausbildungsvergütung im ersten Lehrjahr. Hier betrüge das Kurzarbeitergeld 249 Euro im Monat. Ein Bankkaufmann zum Beispiel verdient mit bis zu 850 Euro im ersten Lehrjahr deutlich mehr. (Ob und wann Azubis überhaupt Kurzarbeitergeld erhalten können, dazu mehr im Beitrag.)

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Sicher ist: Auszubildende stehen gesetzlich unter einem besonderen Schutz. Dieser gilt sowohl für etwaige Kurzarbeit als auch bei Auftragsverlusten oder gar der Insolvenz des Ausbildungsbetriebs. Auszubildenden gegenüber kann in der Regel keine Kurzarbeit angeordnet werden. „Kurzarbeit ist bei den Azubis Ultima Ratio: Wenn ich die Produktion runterfahre, muss ich erst sehen, ob Azubis in einer anderen Abteilung noch weiterlernen können, bevor ich sie in Kurzarbeit schicke“, sagt der Leiter der Abteilung Aus- und Weiterbildung der IHK Essen, Franz Roggemann.

Aber natürlich ist in Zeiten von Corona auch die Ausbildung von den Auswirkungen der Kurzarbeit stark betroffen. Was geschieht, wenn der Ausbildungsbetrieb seine Mitarbeiter in Kurzarbeit schickt? Oder die Ausbilder von der Kurzarbeit betroffen sind ­– obwohl vor allem dies möglichst verhindert werden soll.

Ausbildung sichern

Ein „kurzarbeitender“ Betrieb hat verschiedene Möglichkeiten, um die Ausbildung der Azubis nicht zu gefährden und sie möglichst in gewohnter Qualität zu sichern.

  • Lehrplan ändern

    Der Lehrplan für die Azubis wird durch Vorziehen anderer Lerninhalte umgestellt.

  • Abteilungswechsel

    Die Azubis werden in eine andere – nicht kurzarbeitende Abteilung – versetzt.

  • Rückversetzung

    Die Azubis werden in die Lehrwerkstatt rückversetzt.

  • Veranstaltungen organisieren

    Der Ausbildungsbetrieb führt besondere Ausbildungsveranstaltungen durch.

  • Ausleihe

    Der Ausbildungsbetrieb leiht seine Azubis an fremde Unternehmen aus, wie etwa Supermärkte oder in die Landwirtschaft.

Deutschlandweit ist in vielen Branchen und Unternehmen die Ausbildung eigener Fachkräfte derzeit nur eingeschränkt möglich. Ein Ausweg kann dann auch das sogenannte Modell „Verbundausbildung“ bieten. Hierbei übernehmen andere Unternehmen oder Dienstleister bestimmte Ausbildungsinhalte vom bisherigen Ausbildungsbetrieb – gefördert von der EU. 

Für die selbstständige Anbahnung von Verbundausbildungen stehen Unternehmen zum Beispiel Informationen auf der Webseite des Arbeitsministeriums von NRW zur Verfügung. Ähnliche Modelle finden sich auch in Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg oder Hessen und auch in weiteren Bundesländern. 

Home Working und Home Schooling

Karsten Hippe ist in Potsdam der Ausbilder von Petra Hartwig. „Gerade weil ich selbst inzwischen kurzarbeite, haben wir frühzeitig unsere Ausbildungsinhalte für unsere Azubis umgestellt.“ So arbeitet Petra Hartwig in diesen Wochen von zu Hause aus. Im praktischen Teil ihrer Ausbildung beantwortet sie vor allem Kundenmails. Darüber ist Karsten Hippe glücklich: „Mit Kundenanfragen werden wir jetzt geradezu überflutet, da helfen uns unsere Azubis sehr!“

Von der Berufsschule hat Petra Hartwig für den theoretischen Unterrichtsteil ein sogenanntes Home-Schooling-Programm erhalten. „Das Material kann ich zu Hause gut auch alleine bearbeiten“, findet die 19-jährige Auszubildende.

Karsten Hippe gibt noch einen wichtigen Tipp für andere Ausbilder und Ausbildungsbetriebe: „Jeder muss natürlich auch in dieser angespannten Situation darauf achten, dass man die jetzt veränderten Aufgaben für die Azubis ihrem jeweiligen Ausbildungsjahr und -stand entsprechend anpasst. Da gibt es zwischen dem ersten, zweiten und dritten Lehrjahr natürlich beträchtliche Kenntnis- und Fertigkeitenunterschiede, die jeder Ausbildungsbetrieb berücksichtigen muss.“

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Derzeit noch Anspruch auf sechs Wochen volles Gehalt

Für Petra Hartwig ist es also unter den gegebenen Bedingungen gut gelaufen. Doch es gibt auch die anderen Fälle: Findet sich – wie häufig in kleineren Ausbildungsbetrieben – keine Ausbildungsalternative, greift zunächst noch ein anderer Schutz: Auszubildende haben im Gegensatz zu normalen Beschäftigten, die dann in Kurzarbeit gehen, sechs Wochen lang Anspruch auf ein volles Gehalt. Erst danach kann auch für Auszubildende Kurzarbeit beantragt werden.

Das gilt neben der Tourismusbranche jetzt auch für viele Hotels und Gaststätten sowie für Mittelständler aus dem Handwerk. Viele Betriebe mussten komplett schließen und wissen nicht, wann es weitergeht. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband Dehoga fordert deshalb von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), die Azubis vom ersten Tag an in das Kurzarbeitergeld einzubeziehen: "Derzeit steht die Existenz von Tausenden Gastbetrieben auf dem Spiel", sagt eine Sprecherin der Dehoga. „Der Anspruch auf Fortzahlung der Ausbildungsvergütung für sechs Wochen nach dem BBiG (Berufsbildungsgesetz) muss dahinter zurücktreten.“ Arbeits- und Bildungsministerium arbeiten derzeit an einer Lösung beim Kurzarbeitergeld für die Azubis.

Auch für ZDH-Präsident Hans-Peter Wollseifer greifen die derzeitigen Regelungen zum Kurzarbeitergeld zu kurz, weil sie für Auszubildende nicht gelten. Wollseifer betont: „Gesetzlich ist festgelegt, dass die Ausbildungsvergütung für sechs Wochen weiter fortgezahlt werden muss. Diese fortlaufenden Ausgaben für Ausbildungsvergütungen sind in Zeiten dramatischer Umsatzeinbußen ein Posten, der die liquiden Mittel der Betriebe aufzehrt. Das verstärkt den finanziellen Druck für ausbildende Betriebe. Ohne eine vollumfängliche Einbeziehung von Auszubildenden bei den Regelungen zum Kurzarbeitergeld werden manche Betriebe nicht umhin kommen, ihre Ausbildungsverhältnisse aus betrieblichen Gründen aufzulösen. Das will aber niemand, schon gar nicht unsere Handwerksbetriebe selbst, denen Ausbildung sehr am Herzen liegt. Fast jeder dritte Azubi in Deutschland wird im Handwerk ausgebildet. Kurzarbeitergeld ist in dieser Situation Schutz der Auszubildenden.“

Das ZDH hat auf seiner Website die wichtigsten Fragen und Antworten rund um die Ausbildung im Handwerk aufgelistet.

Zu den FAQs des ZDH

Verändert die Corona-Pandemie den Ausbildungsmarkt generell?

Überhaupt besteht die Frage, wie die Corona-Krise zukünftig auch den Ausbildungsmarkt verändern wird. Eine Prognose dazu ist schwierig, die Fachleute sind sich uneins. In der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 gab es etwa 50.000 weniger abgeschlossene Ausbildungsverträge. Das gibt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was auf die Gesellschaft zukommen könnte. Wie es genau mit dem weltweit beneideten, deutschen Ausbildungsmarkt weitergeht, ist vor allem abhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung in den nächsten Monaten.

Sicher ist hingegen, dass die Unternehmen ihre Ausbildungskapazitäten schon im eigenen Interesse unbedingt erhalten sollten. Schließlich geht es dabei um nichts weniger als um ihre eigene, unternehmerische Zukunft. Auch wenn der DGB aktuell bereits mit weniger Verträgen rechnet. Denn üblicherweise werden im Frühjahr die neuen Verträge für das nächste Ausbildungsjahr geschlossen. Gerade in der dualen Ausbildung dürfte es angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs nun zu deutlich weniger Verträgen kommen, heißt es.

Allerdings: Noch sieht es gut aus. Bei der Bundesagentur für Arbeit und auf den einschlägigen Webseiten werden weiterhin neue Ausbildungsangebote veröffentlicht – sogar aus der besonders gebeutelten Gastronomie. So sucht Lindner Hotels, ein mittelständisches Unternehmen mit 30 Hotels in ganz Europa, angehende Hotelfachleute und Restaurantfachkräfte. Es sei ohnehin schwer, Auszubildende zu finden, heißt es dort: „Wir bleiben optimistisch.“

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