Stress in der Ausbildung? So kannst du dir helfen

Berufsbedingter Stress hat viele Gesichter – und auch Azubis erleben Stress in der Ausbildung. Was sind typische Stressfaktoren beim Start ins Berufsleben und wie geht man damit um? Wir klären auf – und fragen azubi.de-Expertin Sarah Walter nach praktischen Tipps.

Mit welchen Herausforderungen haben Auszubildende zu kämpfen? Dieser Frage nimmt sich jedes Jahr der Jugendverband des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) an. Insgesamt ist das Bild positiv: Gut sieben von zehn Azubis (71,3 Prozent) sind dem Ausbildungsreport 2020 zufolge "zufrieden" (46,9 Prozent) oder "sehr zufrieden" (24,3 Prozent) mit ihrer Ausbildung.

Und doch gibt es an einigen Punkten noch Probleme. Über ein Drittel der Auszubildenden musste der Studie zufolge regelmäßig Überstunden machen – allerdings bessert sich die Lage: Im Jahr 2011 gaben noch über 40 Prozent der Befragten an, über die reguläre Arbeitszeit hinaus zu arbeiten. Einige können die Mehrarbeit nicht ausgleichen: Rund 12 Prozent haben laut Ausbildungsreport 2020 weder die Möglichkeit, im Gegenzug frei zu nehmen – noch bekommen sie die Stunden bezahlt. Ein Teil der Azubis macht nicht einmal das, wofür die Ausbildung angefangen wurde: Rund jeder achte Azubi (12,1 Prozent) gibt an, "immer" oder "häufig" ausbildungsfremde Tätigkeiten leisten zu müssen.

Wer ständig Überstunden macht, diese nicht ausgleichen kann und dann auch noch Arbeiten ausüben muss, die nichts mit dem Berufsbild zu tun haben, leidet früher oder später unter Stress. Auch Zukunftsängste, Geldsorgen oder Probleme mit den Kolleginnen und Kollegen können junge Menschen in der Ausbildung unter Druck setzen. Doch woran erkennt man die Auslöser und wie geht man mit ihnen um? Diese Fragen beantwortet Sarah Walter von azubi.de im Interview – und in der neuen Folge von "Ausbildung? Machen wir.", dem Azubi-Podcast der IKK classic, verrät sie noch ein paar weitere nützliche Tipps.

Podcast "Ausbildung? Machen wir.", Folge 9 – Visual.

Ausbildung? Leben retten!

... und Tipps gegen Stress in der Ausbildung. Jetzt in Folge 9 des Azubi-Podcasts der IKK classic.

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Diese Rechte haben Azubis

Zunächst lohnt sich der Blick in die Gesetzbücher. In vielen Fragen müssen Azubis nicht einfach in den sauren Apfel beißen, sondern haben Rechtsanspruch auf eine gute Ausbildung.

  • Überstunden sind für Azubis nicht vorgesehen

    Eigentlich legt die Gesetzgebung im Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) fest: Über acht Stunden am Tag und 40 Stunden pro Woche dürfen Jugendliche nicht beschäftigt werden. Nur in Ausnahmefällen können volljährige Auszubildende maximal zehn, minderjährige höchstens achteinhalb Stunden an einem Tag arbeiten. Diese Stunden müssen allerdings ausgeglichen werden: entweder mit Bezahlung oder durch Freizeitausgleich.

  • Ausbildungsfremde Tätigkeiten sind unzulässig

    Im Berufsbildungsgesetz (BBiG) ist festgehalten, dass Auszubildenden nur Tätigkeiten aufgetragen werden dürfen, die dem Ausbildungszweck dienen. Das heißt: Ständiges Kaffee kochen, Putzen oder Erledigungen für den Chef dürfen laut Gesetz nicht an der Tagesordnung sein. Allerdings sollte der eigene Arbeitsplatz sauber gehalten werden.

  • Der Ausbildungsvertrag

    Das wichtigste Dokument, auf das sich Azubis im Zweifel berufen können, ist der Ausbildungsvertrag. Darin sind nicht nur Regelungen zur Arbeitszeit, zum Gehalt oder zur Anzahl der Urlaubstage festgehalten, sondern auch der betriebliche Ausbildungsplan. Spätestens nach der Probezeit sollte die Ausbilderin oder der Ausbilder darin festhalten, welche Kenntnisse im Betrieb wann erworben werden. Oft werden die Lerneinheiten an Projekte gekoppelt, innerhalb derer Kenntnisse an bestimmten Maschinen und Werkzeugen vermittelt werden. 

    Es gibt auch Formulierungen, die den Ausbildungsvertrag ungültig machen: Azubis dürfen nicht verpflichtet werden, nach Ausbildungsabschluss im Betrieb weiterzuarbeiten. Außerdem darf kein Verbot ausgesprochen werden, den Beruf auszuüben, zum Beispiel bei der Konkurrenz. Kosten für die Ausbildung, wie etwa Weiterbildungsmaßnahmen, dürfen nicht auf den Azubi abgewälzt werden, auch Vertragsstrafen sind unzulässig.

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Mit Stress in der Ausbildung umgehen lernen

Wer sich davon unter Druck gesetzt fühlt, kann sich also auf eine solide rechtliche Basis berufen und sollte die Probleme offen ansprechen. Lässt sich im Betrieb keine Lösung finden, helfen die Handwerkskammern vor Ort beziehungsweise die Industrie- und Handelskammer (IHK). Stress kann aber auch andere Ursachen haben – wie man lernt damit umzugehen, erklärt azubi.de-Expertin Sarah Walter.

  • Stress kann auch ein unbestimmtes Gefühl sein: Wie finden Auszubildende heraus, was sie am meisten belastet?

    Stress bedeutet erstmal nichts anderes als Druck. Und das sollte kein Dauergefühl sein, sondern nur eine punktuelle Empfindung. Ich horche immer auf, wenn jemand sagt "Ich habe einen stressigen Job." Es sollte eigentlich nur Phasen, Wochen, Momente geben, in denen der Job stressig ist. Fühlen sich Auszubildende die ganze Zeit gestresst, läuft eigentlich etwas schief. Meist gibt es bestimmte Situationen: zum Beispiel beim Arbeiten unter Zeitdruck, während einer Präsentation vor Publikum oder wenn andere einem Druck machen. Bei jedem Job entsteht also ganz spezifischer Stress.

    Wer herauszufinden will, was ihn belastet, sollte sich fragen: Gibt es typische Situationen, die mich ganz besonders unter Stress setzen? Danach geht es um die Frage, wer den Stress auslöst – sind es andere oder liegt es an mir selbst? Entstehen stressige Situationen, weil ständig andere Leute ihre Aufgaben an mich abgeben, oder weil der Chef sehr spontan ist und immer ganz kurzfristig etwas erledigt haben will. Oder liegt es eher daran, dass zum Beispiel die eigene Vorbereitung nicht gut genug war oder ich pünktlicher hätte losgehen müssen? 

    Nur wer weiß, worin der Stress begründet ist, kann auch Hebel anwenden, um das Problem zu lösen. 

  • Welche Art von Stress ist "normal", womit müssen Auszubildende lernen umzugehen, und wann ist eine Grenze überschritten?

    Stress ist erstmal total subjektiv – was manche stresst, muss andere gar nicht berühren. Kurze Phasen des Stresses sind erstmal gar nicht schlimm. Das hat die Natur auch so angelegt: Stress ist dafür da, in dem Moment punktuell leistungsfähiger zu sein und das ist gut. Dieser normale Stress lässt sich zum Beispiel mit Atemübungen oder einer guten Vorbereitung reduzieren.

    Nicht normal ist, wenn man sich auf Dauer damit wirklich schlecht fühlt. Anzeichen dafür sind psychosomatische Symptome wie Bauchschmerzen auf dem Weg zur Arbeit oder Schlafprobleme, weil der Stress auf der Arbeit auch zuhause noch präsent ist. Hier wird eine Grenze überschritten. Empfinden Auszubildende psychosomatische Symptome, sollten sie sich an die Ausbilderin oder den Ausbilder wenden und konkret darüber sprechen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Oder auch erstmal mit Freunden und Familie, denn schon darüber reden hilft.

Es sollte eigentlich nur Phasen, Wochen, Momente geben, in denen der Job stressig ist.
Sarah Walter
  • Wie können Auszubildende mit Zukunftsängsten umgehen, wenn sie befürchten, irgendetwas könnte den eigenen Lebensplan zunichtemachen?

    Das ist eine ganz schwierige Frage – Zukunftsängste können ja berechtigt, manchmal aber auch unbegründet sein. Aber als Faustregel gilt: Aufhören zu grübeln und Handeln! Das macht einen dann wieder zu derjenigen Person, die das Ganze im Griff hat. Denn das Schlimme bei Zukunftsangst ist ja, dass man dem ausgesetzt ist. Dann stellt sich das Gefühl ein, gar nichts machen zu können.

    Handeln bedeutet auch schon, sich Hilfe zu holen – ob bei Eltern, Freunden oder auch Beratungsstellen. Sie unterstützen Auszubildende dabei, die Ängste einzuordnen und einen Plan zu entwickeln, da wieder herauszukommen. Es gibt immer einen Weg!

    Das Zweite ist, sich klarzumachen, dass es immer Veränderungen im Leben geben wird. Das ist aber kein Grund zur Sorge. Vielmehr sollten junge Menschen diese Erkenntnis verinnerlichen. Dann hilft sie dabei, im jetzt zu leben, das zu genießen und sich nicht immer nur Gedanken über die Zukunft zu machen. 

  • Also geht es dabei auch um Resilienz, das heißt Veränderungen zu akzeptieren und sich gleichzeitig der eigenen Selbstwirksamkeit bewusst zu sein, oder?

    Ja – genau. Es gibt aber noch andere Sachen, die die eigene Resilienz fördern. Etwa ein intakter Freundeskreis, Sport treiben und einfach neben dem Job noch Dinge zu haben, die einen bestärken und glücklich machen. Zum Beispiel in einem Verein arbeiten, sich ehrenamtlich engagieren oder um andere kümmern. Zu wissen, "Ich werde gebraucht", also eine Selbstverwirklichung zu finden, die über den Job hinausgeht, ist für die meisten Menschen eine sehr wichtige und schöne Erfahrung.

Vieles, was Azubis im ersten Lehrjahr stresst, belächeln sie im dritten.
Sarah Walter
  • Gibt es generell Mittel und Wege, gelassener zu werden?

    Definitiv lässt sich festhalten: Je länger man in einem Job arbeitet, je mehr Erfahrung man sammelt, desto gelassener wird man auch. Vieles was Azubis im ersten Lehrjahr stresst, belächeln sie im dritten. Auch wenn einige das vielleicht im ersten Moment nicht glauben, aber es ist tatsächlich so: Kommt Zeit, kommt Professionalität. Und wer am Anfang unsicher ist, muss sich keine Sorgen machen: Das ist total normal.

    Wer sich entspannen will, sollte auch daran denken "Ich bin nicht die erste Person, die diese Ausbildung macht". Es hilft viel, mit älteren Azubis zu sprechen. In manchen Firmen gibt es auch Mentoren oder Buddy-Programme. Hilfreich kann auch sein, mit Leuten zu sprechen, die den Beruf schon lange ausüben. So lernen Azubis abzuschätzen, wie lange bestimmte Sachen noch Stress verursachen werden. Vor allem die Doppelbelastung aus Berufsschule und Ausbildung führt dazu, dass viele Azubis erstmal kein Land sehen.
     

  • Und wen sollten Azubis zuerst fragen, wenn sie Schwierigkeiten haben?

    Immer als Erstes mit den Ausbilderinnen und Ausbildern sprechen. Im Endeffekt sind diese Personen direkt für Azubis verantwortlich, sie können viele Sachen klären. Daher ist es keine gute Idee, diese zu überspringen. Allerdings kann es auch sein, dass der Stress gerade von Ausbilderinnen und Ausbildern verursacht wird. Dafür gibt es in den meisten größeren Firmen auch einen Betriebsrat oder sogenannte Jugend- und Ausbildungsvertretungen, die diese Probleme nicht zum ersten Mal hören und sehr kompetent beraten können.

    Aber auch an der Berufsschule gibt es Ansprechpartnerinnen und -partner wie Beratungslehrkräfte, Sozialpädagoginnen und -pädagogen, die einem sehr gut helfen können. Und ganz wichtig: Wenn es um rechtliche Probleme geht, also wenn der Lohn nicht gezahlt wird, Auszubildende zu Überstunden gezwungen werden oder der Ausbildungsplan nicht passt – in solchen Fällen hilft immer die Ausbildungsberatung der Handwerkskammern oder der Industrie- und Handelskammer (IHK). Die sprechen direkt mit dem Betrieb und versuchen das zu klären. 

    Und dann gibt es noch ein ganz spannendes Programm vom Bundesbildungsministerium, das heißt VerA, „Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen“, da bekommen Azubis berufserfahrene Personen als Mentorin oder Mentor an die Seite gestellt. Das hilft, wenn Auszubildende das Gefühl haben, die Ausbildung ist insgesamt eine Herausforderung – zum Beispiel bei einer Teilzeitausbildung, wenn man spät angefangen hat mit der Ausbildung und nebenbei arbeiten muss oder wenn die private Situation viel Zeit in Anspruch nimmt, wie bei Personen, die noch eine Familie zu versorgen haben.

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