Bücher prägen unsere Sicht auf die Welt: Geschwisterpaar liest gemeinsam in einem Buch.

Vorurteils­bewusste Erziehung: Mehr Vielfalt im Kinder­zimmer

Schroffe Bauarbeiter im Blaumann, Tänzerinnen mit pinkem Tutu oder die Mutter am Herd: Oft bilden Kinderbücher ausschließlich klassische Familienkonstellationen ab und verfestigen damit Rollenbilder – ein Nährboden für Vorurteile. Dabei ist unsere Welt doch so viel bunter. Eine Expertin gibt Tipps, worauf Eltern achten können.

Vielfalt in Kinderbüchern, Kinderspielzeug und Kinderkleidung ist selbst heutzutage keine Selbstverständlichkeit: In vielen Geschichten hierzulande wachsen die Kinder bei einem heterosexuellen weißen Elternpaar auf. Oft ist die Mutter dann noch die, die das Essen kocht und die Erziehung übernimmt, während der Papa als heldenhafter Feuerwehrmann unterwegs ist. Ähnlich beim Spielzeug: Die Mädchen dürfen Babypuppen im Kinderwagen herumschieben, Jungs spielen mit Autos und Werkzeugkästen. Und in der Bekleidungsabteilung hängen rosa Rüschenröcke den blauen Superhelden-Shirts gegenüber. "Sehen die Kinder nur diese Klischees, beginnen oft unterbewusst die ersten Vorurteile über andere Kinder, Erwachsene oder Familien, die irgendwie 'anders' sind", erklärt Kinderbuch-Bloggerin Britta Kiwit, die selbst eine kleine Tochter hat. 

Portrait der Bloggerin Britta Kiwit © PR

Um dem entgegenzuwirken hat Britta Kiwit das Projekt "Avalino" ins Leben gerufen, mit dem sie sich für die Förderung von mehr Vielfalt im Kinderzimmer einsetzt: "Ich möchte versuchen, Kindern eine Kindheit ohne Rassismus und Diskriminierung zu ermöglichen – zumindest so gut es geht", erzählt die Bloggerin. Daher porträtiert sie Kinderbücher und Spielzeuge, die ein vielfältigeres Bild der Gesellschaft zeigen. Darüber hinaus leistet sie Aufklärungsarbeit auf "humorvolle Art, um auch die Erwachsenen zum Nachdenken anzuregen".

Kinder als "unbeschriebenes Blatt" ohne Vorurteile

Kinder werden in ihrer Entwicklung natürlich selbst lernen, dass jeder Mensch anders ist. Sie erkennen schon sehr früh, ob zum Beispiel in der Kita jemand blonde oder rote Haare hat, dünn oder dick ist. Sie sehen, wenn jemand in der Schule eine andere Hautfarbe hat als die eigenen Eltern oder Geschwister. Es geht nicht darum, Unterschiede nicht wahrzunehmen – sondern ihnen ohne Vorurteile zu begegnen.

Und Kinder hätten dazu die perfekten Voraussetzungen, so Britta Kiwit: "Ich sehe jedes Kind wie ein unbeschriebenes Blatt vor mir." Es komme ohne Vorurteile zur Welt, dann sorgt jede einzelne Erfahrung, jede Geschichte und auch die Erwachsenen in der Umgebung für einen bunten Klecks auf dem Papier. Es geht laut Kiwit also darum zu steuern, welche Art von Klecksen wir hinterlassen und so täglichen Diskriminierungen und Rassismus entgegenzuwirken. Aber wie soll das in der Praxis funktionieren?

Vorurteile und Geschlechterrollen

Noch immer existieren starre Rollenmuster von Mann und Frau, die auf vielen Vorurteilen beruhen. Mit realen Nachteilen für die Betroffenen. Vorurteile und Geschlechterrollen

Inklusion heißt auch: Klassiker ab und zu in der Schublade lassen

Britta Kiwit rät: "Vor allem bei Büchern und bei Spielzeug lässt sich gut auf Diversität achten." Warum sollte etwa neben dem Puppenhaus keine Autorennbahn stehen oder die Actionfigur ein rosa Kleid tragen? "Außerdem kann man ja nicht nur die Kinderbuchklassiker wie 'Conni' oder 'Leo Lausemaus' vorlesen", so die Avalino-Gründerin. Das soll jedoch nicht heißen, dass an diesen Büchern irgendetwas falsch ist – schließlich wollen sich auch klassische Familienkonstellationen in Geschichten wiederfinden.

"Worauf ich bei Kinderbüchern sehr stark achte: Die Mischung macht’s", erzählt die Bloggerin, "denn wenn ich immer ähnliche Geschichten erzähle, zeige ich meiner Tochter die Welt nicht so, wie sie ist." Und damit könne man schon in der frühen Kindheit anfangen. Schließlich kann vorurteilsbewusste Bildung auch rein über die Bildsprache gehen. 

Für Britta Kiwit sei es "das Schönste", wenn in einem Buch nicht explizit darauf eingegangen wird, dass jemand zum Beispiel zwei Väter hat oder ein Kind behindert ist, sondern dass diese Umstände selbstverständlich sind. Identifikationsfiguren in Büchern seien enorm wichtig für das Selbstwertgefühl. Daher achtet Britta Kiwit bei ihren Buchvorstellungen darauf, dass auch schwarze Kinder, Kinder mit Behinderung oder Regenbogenfamilien in den Geschichten vorkommen und die Hauptrollen spielen. So kann das Thema Inklusion also schon im eigenen Zuhause angegangen werden.

Die Branche entwickelt sich dahingehend auch zusehends positiv. "Ich sehe einen großartigen Trend", so Kiwit. Es gibt mittlerweile immer mehr kleine Verlage, die sich für mehr Vielfalt einsetzen und gegen Vorurteile vorgehen. Aber auch die großen Verlage zögen nach und veränderten ihre bisherige Arbeit: "Ravensburger hat ein Buch, das eine Baustelle zeigt, komplett überarbeitet und dafür gesorgt, dass zum Beispiel auch schwarze Bauarbeiter und auch mehrere Bagger- und Kranfahrerinnen zu sehen sind. Das finde ich großartig." Auch Lego erkannte den Trend: Mit Figuren von Wissenschaftlerinnen zeigt der Spielzeughersteller, dass auch Mädchen die vermeintliche Jungendomäge Naturwissenschaft erobern können.

Vorsorgeuntersuchungen für Kinder

Damit sich Ihr Kind gesund entwickelt, erhält es mit den regelmäßigen U-Untersuchungen die bestmögliche Vorsorge. Auch die sprachliche Entwicklung wird untersucht, zum Beispiel bei der U7 und U7a. Mehr erfahren

Typisch Junge, typisch Mädchen?

Lea bastelt gerne Schmuckstücke aus pinken Glitzersteinen, Paul spielt lieber mit Bauklötzen. Beruhen diese Verhaltensweisen wirklich auf persönlichen Vorlieben – oder doch eher auf anerzogenen Rollenmustern? Ein Gen, das Mädchen eine besondere Schwächte für alles Rosafarbene vererbt, gibt es jedenfalls nicht. Stattdessen bekommen Kinder in vielen Fällen vorgelebt, was für ihr biologisches Geschlecht als "typisch" gilt:

Töchter werden in pastellfarbene Kleidchen gesteckt, für ihre hübsche Frisur gelobt und zum Stillhalten ermahnt. Söhne schickt man dagegen in blauen Jogginganzügen raus zum Toben. Und wenn sie dabei hinfallen, heißt es: "Große Jungs weinen nicht!"

Worauf Eltern achten können: Dem Kind auch mal "untypisches" Spielzeug anbieten oder es beim Klamottenkauf selbst auswählen lassen, ob es die blaue oder die rosa Abteilung besser findet. Und wenn der Sohn gerne mal einen Rock tragen möchte, spricht nichts dagegen – ebenso wenig, wenn er doch lieber beim Superhelden-Outfit bleibt. Geschlechtsneutrale Kleidung und Spielzeuge sind ebenfalls eine schöne Möglichkeit, vor allem für Kleinkinder, die noch keine eigenen Entscheidungen treffen können,

Wer seinem Kind die Wahl lässt und diese akzeptiert, bestärkt es in der Entfaltung seiner individuellen Persönlichkeit abseits gesellschaftlicher Geschlechterklischees.

Gegen das Geschlechterklischee: kleines Mädchen spielt mit Modellautos © Getty Images

Ob Kita, Schule oder Soziale Arbeit: Auch pädagogische Fachkräfte in der Pflicht

Neben der vielfältigen Auswahl an Spielzeug und Kinderbüchern geht es aber in der Erziehung auch darum, die eigenen Verhaltensweisen und Vorurteile immer wieder zu hinterfragen, um so als Vorbild zu dienen. Ein Vorbild, das niemanden in eine Schublade steckt und "Andersartigkeiten" offen begegnet. Britta Kiwit beispielsweise hat sich auf dem Spielplatz bestimmte Verhaltensweisen angewöhnt: "Kenne ich den Namen eines fremden Kindes nicht, spreche ich nur von 'dem Kind' – schließlich möchte ich nicht aufgrund der pinken Jacke oder der kurzen Haare darauf schließen, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist.“ Denn genau in solchen Situationen beginnen die Geschlechter-Klischees.

Die "Avalino"-Gründerin rät also dazu, sowohl die eigenen Vorurteile als auch die verwendete Sprache stets zu reflektieren und sich selbst herauszufordern. So ergänzt sie beispielsweise Sätze mit "Auch die Mamas können arbeiten gehen, wenn sie möchten", oder "Auch Jungs können lange Haare haben". So sollen Stigmatisierungen und Vorurteile gar nicht erst entstehen. 

Außerdem versucht sie beispielsweise beim Kleiderkauf ihre eigenen Präferenzen und alten Denkmuster abzuschaffen. Dann weist Britta Kiwit ihre Tochter bewusst noch einmal daraufhin, dass es keine Mädchen- oder Jungssachen gibt und Farben für alle da sind. So kann man bereits durch vermeintliche Kleinigkeiten im Alltag Kinder gegenüber Vorurteilen sensibilisieren und vielleicht sogar motivieren, eines Tages gegen Diskriminierung vorzugehen. Vor allem geht es aber auch darum, Kinder in ihrer eigenen Identität zu stärken. Wer sich hier Unterstützung wünscht oder weitere Informationen sucht: Es gibt auch Bücher für Elternteile, die bei einer vorurteilsfreien Kommunikation mit Kindern unterstützen.

In Sachen Vorbildfunktion sieht Britta Kiwit auch Erzieherinnen und Erzieher in der Kita, Lehrkräfte in der Schule und sonstige pädagogische Fachkräfte in der Verantwortung – auch wenn es für diese in ihrer pädagogischen Praxis aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen der Eltern beim Thema Bildung und Erziehung nicht leicht ist, es allen recht zu machen. Aber: "Was ich mir auch für die Betreuung wünsche, ist kritisches Denken, eine Extra-Portion Weltoffenheit und den Mut, Dinge anders zu machen."

"Wir besitzen unsere Kinder nicht"

Kinder brauchen also Bücher, Spielzeuge und Vorbilder, die ihnen zeigen, dass es vollkommen in Ordnung ist, seinen eigenen Weg zu gehen. Denn all die vorurteilsbewusste Bildung bringt nichts, wenn man Vielfalt den Kleinen gegenüber nicht auslebt: "Ich gehe mittlerweile zum Beispiel gar nicht mehr davon aus, dass meine Tochter heterosexuell ist. Ich weiß es schlicht und ergreifend nicht, in wen sie sich einmal verlieben wird", so die "Avalino"-Gründerin.

Man müsse sich laut Britta Kiwit immer wieder klarmachen: "Wir besitzen unsere Kinder nicht, sondern begleiten sie auf ihrem Weg durchs Leben." Diese Erkenntnis habe in ihr ganz viel verändert und sie darin bestärkt, dass am Ende nur eines zählt: Dass das eigene Kind glücklich ist – ganz egal, wie dessen Weg aussehen mag.

Die Kleinen stark machen. Gemeinsam für eine gesunde Zukunft

Die Kita ist nach der Familie die erste Bildungsinstitution. Hier können wichtige Grundlagen für einen gesunden Lebensstil geschaffen und die Gesundheit der Kinder gefördert werden. Die IKK classic unterstützt Kitas dabei, gesundheitsförderliche Strukturen auf- und auszubauen und begleitet sie auf ihrem Weg. 

Zum Präventionsprogramm

Vielfalt zum Selbermachen

In Ihrer örtlichen Kinderabteilung gibt es statt bunter Vielfalt nur rosa-blauen Einheitsbrei? Mit diesen Tipps gestalten Sie selbst mehr Diversität.

  • Perspektivwechsel: Geschichten neu erzählen

    Im Lieblingsbuch Ihres Kindes rettet ein edler Ritter die Maid in Not? Drehen Sie die Geschichte beim Vorlesen doch mal um: Die Prinzessin besiegt den Drachen und befreit den Prinz im Alleingang.

  • Bunter malen: kulturelle Vielfalt abbilden

    In der Kita spielen Kinder unterschiedlichster Couleur zusammen – in vielen Bilderbüchern sieht das anders aus. Wie wäre es stattdessen mit einer Geschichte zum Ausmalen? Dann kann Ihr Kind die Charaktere so verschieden aussehen lassen wie seine Freundinnen und Freunde. Das Projekt Hautfarben bietet dafür das passende Stifte-Sortiment und unterstützt mit seinen Erlösen soziale Projekte.

    Zu den Hautfarben-Malstiften
  • Mehr Optionen: Kinderbuch personalisieren

    Im Bücherregal spielen meist blonde Superhelden und vornehm blasse Prinzessinnen die Hauptrolle. Das ist Ihrem Nachwuchs zu eintönig? Bei vielen Herstellern können Sie mittlerweile personalisierte Kinderbücher bestellen und die Figuren gemeinsam mit Ihrem Kind ganz individuell gestalten.

  • Frau im Gamer-Stuhl und Kopfhörern betreibt E-Sport.

    Digitales

    Frauen im E-Sport: stigmatisiert und ausgegrenzt

    Weniger Aufmerksamkeit, geringere Preisgelder, sexistische Kommentare und Beleidigungen: Frauen im E-Sport kämpfen zahlreichen Vorurteilen. Es muss sich etwas tun, fordert auch die Wissenschaft. Artikel lesen

  • Dr. Jens Förster lächelt vor einem grünen Hintergrund in die Kamera

    Leben

    Dr. Jens Förster: Mit Neugier gegen Vorurteile

    Für ein gesundes Miteinander gehört also dazu, Diskriminierung gar nicht erst zuzulassen und Vorurteile abzubauen. Dr. Jens Förster erklärt, was wir alle tun können. Zum Interview

  • Vier Holzkugeln mit lachenden Gesichtern, eine Kugel mit traurigem Gesicht im Hintergrund.

    Leben

    Warum Vorurteile krank machen können

    Eine Studie der IKK hat ergeben, dass Vorurteile und Diskriminierung krank machen. Psychologe Uwe Hambrock erklärt im Interview, was es damit auf sich hat. Artikel lesen