Coming-out: Wie erkläre ich meine sexuelle Orientierung und Identität?

Viele Menschen mit nicht-heterosexuellen Orientierungen möchten ihrem Umfeld davon erzählen – doch sie haben Angst vor negativen Reaktionen und Vorurteilen. Das Gleiche gilt für Personen, die sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren oder sich nicht in das binäre System männlich oder weiblich einordnen wollen oder können. Tipps fürs Coming-out.

Das Coming-out gibt es streng genommen nicht nur für Menschen der LGBTQIA+-Communitiy (Begriffserklärung weiter unten im Text). Alle Personen, die offen ihre sexuelle Orientierung oder Identität preisgeben, haben ein Coming-out. Besonders, wenn diese von der Geschlechterrolle abweicht, die sie vermeintlich tragen. Man gibt also etwas preis, das vorher nicht bekannt war, es "kommt heraus" – die wörtliche Übersetzung von Coming-out.

Oft nehmen wir unterschiedliche Rollenbilder in unserer Gesellschaft ein: Auf der Arbeit ist man starke Führungspersönlichkeit, zu Hause ein liebevoller Elternteil und im Sportverein das wertvolle Back-up fürs nächste Turnier. Doch Rollenbilder verändern sich – und besonders hinsichtlich der Rollen, die wir aufgrund unseres Geschlechts zugeschrieben bekommen, hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel getan.

Homosexualität zum Beispiel galt früher als Krankheit oder sogar Verbrechen. Das ist heute nicht mehr so – zumindest in Deutschland. Auch Konversionstherapien, welche die sexuelle Orientierung ändern sollen, sind für Jugendliche in Deutschland mittlerweile verboten. Rechtlich hat sich ebenfalls einiges getan: Seit 2001 sind in Deutschland eingetragene Lebenspartnerschaften möglich, seit 2017 gibt es die Ehe für alle.

Der Großteil der Gesellschaft ist sich darüber einig, dass kein Mensch aufgrund seiner sexuellen Orientierung und Identität mehr oder weniger wert ist. Nur 10 Prozent unserer Bevölkerung sehen Homosexualität als unmoralisch an. Das geht aus einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) hervor. Trotzdem zeigen diese übrigen 10 Prozent, dass ein Wandel gesellschaftlicher Werte und Normen Zeit braucht. Nicht zuletzt deswegen gibt es in Deutschland Gesetze, die Personen vor Diskriminierung aufgrund ihrer Sexualität schützen.

Meine Kindergärtnerin fand ich schon toll, dann Lehrerinnen. Eigentlich gab es in meinem Leben immer irgendeine Frau, zu der ich mich stark hingezogen gefühlt habe.
Tanja (Name geändert), 38

Coming-out: Ängste und Sorgen

Mehr als die Hälfte aller Mitglieder der LGBTQIA+-Community geben laut einer Studie des rheingold Instituts im Auftrag der IKK classic an, sich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität diskriminiert zu fühlen. Diese Erfahrungen führen dazu, dass ein Coming-out so schwer ist.

Viele befürchten außerdem, das Coming-out könnte die Beziehung zu Eltern, Geschwistern, Verwandten und zum Freundeskreis verändern oder gefährden. Sie haben Bedenken, plötzlich anders behandelt zu werden oder dass nahestehende Menschen auf Distanz gehen.

Beratungsstellen können Betroffenen dabei helfen, mit negativen Erfahrungen und Ängsten umzugehen. Die nächstgelegenen Beratungsstellen findest du hier.

Vorurteile und Diskriminierung machen krank

Die IKK classic unterstützt Menschen dabei, einen gesunden Lebensstil zu führen. Dazu gehört auch ein gesunder Umgang miteinander – denn Diskriminierungserfahrungen führen zu Erkrankungen. Um das zu verhindern, gilt es, die Ursache zu bekämpfen und Vorurteile abzubauen.

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In der ersten Zeit habe ich mich zurückgezogen, ich musste erst einmal selbst mit diesem neuen Bewusstsein klarkommen. Ängste und Verunsicherung tauchten auf.
Martina, 52, nach dem inneren Coming-Out

Der Christopher Street Day

Seit den 1970er-Jahren wird bei den Paraden zum Christopher Street Day für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi-, Inter- und Asexuellen sowie Transgender-Personen und queeren Menschen gekämpft und gegen Diskriminierung demonstriert. In vielen deutschen Städten finden zwischen Juni und August Umzüge und Veranstaltungen statt.

Alle Menschen sind eingeladen, an diesen Paraden teilzunehmen – egal welcher sexuellen Orientierung und Identität sie angehören. Ebenfalls seit den 70er-Jahren gilt die Regenbogenfahne weltweit als Symbol für die gesamte LGBTQIA+-Community.

Welche sexuellen Orientierungen gibt es?

Die Beschreibung der sexuellen Orientierung kann vielfältig sein. Nachfolgend eine Auswahl der bekanntesten Definitionen:

  • heterosexuell: Menschen, die sich zum anderen Geschlecht hingezogen fühlen.

  • homosexuell: Menschen, die das eigene Geschlecht anziehend finden.

  • bisexuell: Menschen, die sich sowohl zu Frauen als auch Männern hingezogen fühlen.

  • pansexuell: Menschen, die gar nicht geschlechterspezifisch denken und sich in eine Person verlieben, egal welchen Geschlechts. Das Wort "pan" stammt aus dem Griechischen und bedeutet "alles". Pansexuelle lieben Menschen, nicht deren Geschlecht.

  • polysexuell: Menschen, die sich körperlich und emotional zu vielen Geschlechtern hingezogen fühlen, aber nicht zu allen.

  • asexuell: Menschen, die keine sexuelle Anziehung empfinden.

  • queer: Diese Menschen lehnen die gesellschaftlichen Normen von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit ab.

  • autosexuell: Menschen, die romantische Gefühle für sich selbst empfinden. Sie stellen sich im Liebesspiel sich selbst als Sexpartner vor. Kein Körper erregt sie mehr als der eigene.  

  • unentschlossen: Menschen, die sich ihrer sexuellen Orientierung nicht klar sind.

Sexuelle Orientierung und sexuelle Identität

Die Begriffe sexuelle Orientierung und sexuelle Identität bedeuten nicht das Gleiche. Sexuelle Orientierung bezeichnet, zu welchem Geschlecht sich ein Mensch hingezogen fühlt. Mit sexueller Identität ist gemeint, zu welchem Geschlecht man sich selbst zugehörig fühlt: ob weiblich, männlich, trans oder anders.

Die Abkürzung "LGBTQIA+" stammt aus dem Englischen und steht für: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersex, Asexual (lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, queer, intersexuell, asexuell) und mit dem + sollen weitere Sexualitäten miteinbezogen werden.

Der Prozess des Coming-out

Das Coming-out ist ein wichtiger Lebensabschnitt von Mitgliedern der  LGBTQIA+-Community. Der Prozess lässt sich zunächst in zwei Phasen einteilen: das innere und das äußere Coming-out.

Beim inneren Coming-out beschäftigen sich junge Menschen mit folgenden Fragen: Wie und wann weiß ich, ob ich zum Beispiel lesbisch, schwul, bisexuell, asexuell, pansexuell, transsexuell oder transgender bin? Wie kann ich mir meiner sexuellen Orientierung und Identität sicher sein? Der Prozess des inneren Coming-out umfasst die Phase bis zur Erkenntnis der eigenen sexuellen Orientierung und Identität. Er beginnt meist in der Pubertät und kann unterschiedlich lange dauern – teilweise zieht er sich über mehrere Jahre hinweg.

Nach dem inneren Auseinandersetzen folgt die Entscheidung, ob man anderen Personen von seiner sexuellen Orientierung und Identität erzählt und das äußere Coming-out stattfindet. Einige Jugendliche gehen ganz offen damit um, andere sprechen nur mit bestimmten Menschen darüber und wiederum andere verzichten komplett darauf, ihre sexuelle Orientierung und Identität gegenüber der Öffentlichkeit zu "outen".

Freunde reagierten überraschend locker. Einige Arbeitskolleginnen und -kollegen wissen es und gehen sehr positiv damit um.
Martina, 52, nach dem äußeren Coming-Out

Folge #5: Geschlechter-Rollen und Sexualität

Der neue Coming of Age-Podcast der IKK classic mit Viviane Hähne. Hier reinhören

Tipps für das Coming-out

Wenn du nicht weiter weißt, kann es dir helfen, dich mit anderen Menschen in einer ähnlichen Situation oder mit Personen, die das Coming-out bereits hinter sich haben, auszutauschen. Beratungsstellen unterstützen dich beim inneren und äußeren Coming-out. Vielleicht gibt es in deiner Nähe eine Jugendgruppe für junge Menschen der LGBTQIA+-Community. Die nächstgelegenen Beratungsstellen findest du hier.

Tipps für das äußere Coming-out

Du hast dich dafür entschieden, deine sexuelle Orientierung oder/und sexuelle Identität öffentlich zu machen? Hier ein paar Tipps, die dir bei deinem Coming-out helfen können.

  • Oute dich als erstes vor Menschen, bei denen du dir sicher bist, dass sie positiv darauf reagieren.

  • Versuche im Vorfeld herauszufinden, wie deine Mitmenschen über Mitglieder der LGBTQIA+-Community denken. So kannst du die Reaktion deines Gegenübers besser einschätzen.

  • Bekommst du eine negative Reaktion, verliere nicht den Mut. Gib deinen Mitmenschen Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen.

  • Du möchtest, dass nur ausgewählte Personen von deiner sexuellen Orientierung oder Identität erfahren? Dann oute dich nur vor Menschen, denen du vertraust, dass sie es nicht weitererzählen.

  • Informiere dich vor deinem Coming-out gut über mögliche Vorurteile. Überlege dir, wie du im Fall der Fälle darauf reagierst.

  • Vor allem beim Coming-out vor der Familie solltet ihr Zeit zum Reden haben. Versuche, den richtigen Zeitpunkt und passenden Ort für das Gespräch zu finden. Am besten sollten sich die Familienmitglieder auch zurückziehen können, um in Ruhe über die Neuigkeit nachdenken zu können.

Bedenke: Hast du dich vor deinen Eltern oder anderen Menschen geoutet, beginnt auch für sie ein Prozess, der deinem Coming-out ähnlich ist. Sie brauchen ebenso wie du Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Wie du ihnen helfen kannst? Zeige ihnen, dass du bereit bist, über deine sexuelle Orientierung und Identität zu sprechen. Aber: Du bestimmst, was du tun möchtest und wie viel du deinen Mitmenschen in diesem Prozess anvertraust.

Bring das Thema mal locker ein und achte auf die Reaktionen. Dann kannst du besser entscheiden, mit wem du offen sprechen kannst.
Martina, 52

Vorurteile gegenüber Nicht-Heterosexualität

In Sachen sexuelle Orientierung gibt es viele Vorurteile gegenüber Menschen mit nicht-heterosexuellen Orientierungen, mit denen sich die BZgA auf ihrer Website liebesleben.de beschäftigt. Aber was ist wirklich dran an den Klischees? Eine Auswahl:

Zu liebesleben.de
  • Schwule sehen aus und verhalten sich wie Frauen. Lesben tragen einen Kurzhaarschnitt und verhalten sich wie Männer.

    Ob jemand feminin oder maskulin auftritt, hängt von der persönlichen Vorliebe ab, aber nicht von der sexuellen Orientierung.

  • Bisexuelle können nicht mit einer einzigen Partnerin oder einem einzigen Partner zufrieden sein. Sie brauchen beides.

    Falsch. Auch viele Menschen mit bisexueller Orientierung führen langjährige feste Partnerschaften mit einer einzigen Person.

  • Asexuelle haben keinen Sex.

    Asexuelle Menschen haben zwar kein Bedürfnis nach Sex. Aber: Sie haben durchaus manchmal Geschlechtsverkehr. Liebe, Intimität und Zuneigung sind auch für sie von großer Bedeutung.

  • Wer schon mal Sex mit einer Person des eigenen Geschlechts hatte, kann nicht heterosexuell sein.

    Die sexuelle Orientierung eines Menschen ist in der Regel konstant. Aber sie kann sich im Laufe der Zeit auch ändern. Einige Menschen entdecken statt im Jugendalter erst später, dass sie zum Beispiel auf das gleiche Geschlecht stehen.

  • HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen (STI) betreffen nur Schwule.

    Das stimmt nicht. Manche STI kommen bei bestimmten Sexualgruppen zwar häufiger vor. Egal ob lesbisch, schwul oder heterosexuell: Sexuell übertragbare Krankheiten gehen jeden etwas an. Deshalb solltest du dich immer davor schützen.

    Tipps zum Thema Safer Sex
  • Lesben haben gar keinen richtigen Sex.

    Doch. Sexualität ist vielfältig – lesbische Liebespaare brauchen nicht zwangsläufig Hilfsmittel, um Sex zu haben.

  • Nur Heterosexuelle können Kinder kriegen.

    Tatsächlich fragen sich viele homosexuelle Personen, ob sie irgendwann Kinder haben können. Grundsätzlich lautet die Antwort ja. Denn: Um Kinder zu bekommen, gibt es auch viele andere Wege als Sex zwischen Mann und Frau. So kann zum Beispiel eine künstliche Befruchtung oder Adoption in Frage kommen.

Lass dich nicht drängen und horche in dich hinein. Ich habe Internetforen durchforstet und Fachbücher gelesen – mich also erstmal theoretisch damit beschäftigt.
Tanja, 38

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