Stammzellen­forschung: Wo verläuft die ethische Grenze?

Redaktion
IKK classic

Im Silicon Valley investieren Technologieunternehmen Milliarden US-Dollar in regenerative Medizin, die zum Großteil auf Methoden der Stammzellenforschung beruht. Ihre Vision: die Unsterblichkeit.

Jedoch darf nicht alles, was in den USA oder China auf dem Gebiet der Gentechnik ausprobiert wird, auch hierzulande erforscht werden, Stichwort: embryonale Stammzellen. Aus diesen pluripotenten Zellen kann zwar jede beliebige Zelle im Körper entstehen, zum Beispiel Gehirn- oder Nierenzellen. Nur muss, um sie zu gewinnen, ein menschlicher, lebensfähiger Embryo zerstört werden. Neben der Zell- stellt auch die Gentherapie Mediziner vor schwierige ethische Fragen.

Profilbild Giovanni Maio © Silke Wernet/ laif

Interview mit Professor Giovanni Maio

Giovanni Maio ist ein deutscher Mediziner, Philosoph, Medizinethiker und Universitätsprofessor für Bioethik. Nach Tätigkeiten als Wissenschaftlicher Assistent in Freiburg, Aachen und Lübeck ist er seit 2005 Professor für Bioethik und Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und leitet außerdem das dortige interdisziplinäre Ethikzentrum. Im Interview erklärt er den Unterschied zwischen adulten und embryonalen Stammzellen, das Potenzial der Stammzellenforschung und die ethischen Grenzen.

  • Das Thema Stammzellenforschung ist sehr umstritten. Warum?

    Sobald es um die verbrauchende Embryonenforschung geht, ist dieses Thema umstritten. Schließlich ist der Embryo nicht mit einer einfachen Ressource gleichzusetzen, die man bedenkenlos für Forschungszwecke verbrauchen kann. Wenn wir uns klarmachen, dass wir alle einmal Embryonen waren, so ist es schwierig, so zu tun, als wäre der Embryo eine reine Sache, denn wir alle sind aus dem Embryo hervorgegangen. Zwar hat sich die Form des Embryos verändert, aber in ihm war bereits unsere ganz individuelle Veranlagung angelegt. Es gibt also eine Verbindung zwischen dem Embryo und uns. Ich würde sogar so weit gehen, dass der Embryo ein Mensch ist, weil in ihm alles enthalten ist und es keine spätere Zäsur gibt, ab der wir sagen könnten: Jetzt erst sind wir Mensch. 

Der Embryo ist nicht mit einer einfachen Ressource gleichzusetzen, die man bedenkenlos für Forschungszwecke verbrauchen kann.

Prof. Giovanni Maio

  • Gibt es einen Unterschied zwischen adulten und embryonalen Stammzellen?

    Die Forschung mit adulten Stammzellen ist schon sehr alt und absolut unbedenklich. Hierbei handelt es sich um rein somatische Zellen, die keinen eigenen moralischen Status haben. Der moralische Status des Embryos ist hingegen Gegenstand großer ethischer Debatten – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Gesellschaft.

  • Warum ist diese Differenzierung für Sie als Medizinethiker so wichtig?

    Wir dürfen den Embryo nicht einfach verbrauchen, weil wir uns selbst ohne Embryonalstadium gar nicht sehen können. Wir können ja nicht sagen, das ist der Embryo, aus dem ich hervorgegangen bin, aber dieser Embryo ist nichts und ich bin Mensch, denn dann müsste ich fragen, wo Dein Menschsein denn begonnen habe, und darauf könnte keine vernünftige Antwort gegeben werden. Dass der Embryo zu schützen ist, hat daher nichts mit Weltanschauung zu tun, sondern mit Logik.

  • Welches Potenzial steckt eigentlich in der Stammzellenforschung?

    Vor zwanzig Jahren schon malte man das Ende vieler Krankheiten als Heilsversprechen der Stammzellforschung an die Wand. Das war zu vollmundig. Gleichwohl sind Fortschritte in der Stammzellforschung zu erwarten, aber das wird viel länger dauern als alle gedacht haben – und das ist in gewisser Weise auch logisch.

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  • Werden wir durch die Stammzellenforschung irgendwann jede Krankheit heilen oder aufhalten können?

    Sicherlich werden wir Fortschritte erleben. Aber das Versprechen, alle Krankheiten besiegen zu können, halte ich für unverantwortlich und auch für unwissenschaftlich. Es gibt Tausende unterschiedliche Krankheiten und jede Krankheit ist ein Universum und eine Herausforderung für sich, die weiter erforscht werden muss. Nur so können in kleinen Schritten Erfolge erzielt werden. Die Forschung sollte sich dazu bekennen, dass sie kleine Brötchen backt und davon absehen, vollmundige Heilversprechen zu verkünden. 

Die Forschung sollte sich dazu bekennen, dass sie kleine Brötchen backt und davon absehen, vollmundige Heilversprechen zu verkünden.

Prof. Giovanni Maio

  • Spielen wir Gott, wenn wir Organe, Knochen und Ersatzteile drucken?

    Aber nein! Erstens ist die Frage, ob wir Gott spielen, keine gute Frage. Denn was soll das eigentlich heißen? Wir als Menschen sind mit Verstand ausgezeichnet, die Vernunft ist unsere Natur, und es ist unsere Aufgabe, unsere Vernunft zu verwenden, um dem Menschen zu helfen. Und wenn man Krankheiten heilen oder Symptome lindern kann, dann ist das eine vernünftige Anwendung menschlicher Fähigkeiten. Unvernünftig wird es erst, wenn man heilen will um jeden Preis. Wenn man also dabei andere Werte außer Kraft setzt, den Wert der Unverfügbarkeit des Menschen, den Wert der Freiheit anderer Menschen. Grundsätzlich ist Forschung zu begrüßen, aber auch das beste Ziel kann nicht alle Mittel heiligen, und so ist auch die Forschung daran gehalten, Grundrechte eines jeden Menschen bedingungslos zu respektieren. Deshalb ist die Forschung mit Embryonen sehr umstritten und deswegen muss jede Forschung auf Freiwilligkeit beruhen. Eine Pflicht, sich zu Forschungszwecken bereitzustellen wird es nie geben können. Das wären medizinethische Grenzen, aber nicht, dass wir künstliche Organe schaffen. Wir müssten allerdings gut überlegen und noch besser erforschen, was die künstlichen Organe beim Patienten bewirken. Das ist eine Frage der Risikoethik.

  • Ist es Ihrer Meinung nach erstrebenswert, ewig zu leben?

    Auf keinen Fall.

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Veröffentlicht am 09.08.2019

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