Paar bei Ultraschallunersuchung beim Arzt

Was
Experten
zur
Pränatal-
diagnostik
sagen

Pränataldiagnostik ja oder nein? Die Möglichkeiten der Pränatalmedizin steigen zunehmend. Dadurch stehen immer mehr Eltern vor der Frage, ob und wenn ja, welche vorgeburtlichen Untersuchungen sie an ihrem Kind durchführen lassen wollen. Was Sie vorab wissen sollten und wann sichere Diagnosen besonders wichtig werden, erklären zwei Experten.

Seit Juli 2022 ist der nicht-invasive Pränataltest auf Trisomie 21, 18 und 13 eine gesetzliche Leistung von Krankenkassen. Für Eltern macht dieser Beschluss den Zugang zum DNA-Bluttest nicht nur kostengünstiger und damit gerechter. Er könnte auch dazu führen, dass Menschen, die mit Downsyndrom leben, bald immer seltener werden und sich Betroffene immer weniger willkommen fühlen, befürchten Kritiker und Behindertenverbände. Keine einfache Situation für Eltern, die letztlich alleine entscheiden müssen, wieviel Wissen zu ihrem Lebensglück beitragen kann.

Hilfestellungen bei der individuellen Entscheidung können Experten geben. Kirsten Hellwig berät als Sozialpädagogin Eltern unter anderem an der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e. V. in München. Prof. Dr. Alexander Scharf ist als niedergelassener Pränatalmediziner in Mainz tätig. Sie erklären Pro und Kontra der Untersuchungen, warum es so wichtig ist, zwischen pränatalmedizinischen Test- und Diagnoseverfahren zu unterscheiden und sich für Entscheidungen Zeit zu nehmen.

Möglichkeiten der Pränataldiagnostik: Was sollten Eltern wissen?

  • Frau Hellwig, Herr Scharf, wer klärt werdende Eltern überhaupt über die zahlreichen Möglichkeiten der Pränataldiagnostik auf?

    Kirsten Hellwig: Die erste Aufklärungspflicht liegt bei den niedergelassenen Gynäkologinnen und Gynäkologen. Meiner Erfahrung nach findet das aber nicht umfassend statt. Ich erlebe immer wieder Paare, die in unsere Beratung kommen und merken, dass sie in etwas reingerutscht sind, das sie letztendlich gar nicht wollten.

    Das sind Menschen, die sich zuvor nicht wirklich Gedanken gemacht haben, welche Verfahren der Pränataldiagnostik sie nutzen möchten. Ihnen ist nicht bewusst gewesen, was sie dadurch erfahren können, ob und wie sicher das Ergebnis wirklich ist und welche Konsequenzen es mit sich bringt, wenn ein Ergebnis auffällig ist.

    Durch die verschiedenen Methoden der vorgeburtlichen Untersuchungen ist das Thema Pränataldiagnostik sehr komplex geworden. Wir als Beratungsstelle bieten zwar an, dass die Eltern sich auch schon vor der Inanspruchnahme von pränataldiagnostischen Untersuchungen bei uns informieren können – das passiert aber relativ selten.

  • Wie ist der Kenntnisstand von werdenden Eltern, die vor einer solchen Untersuchung stehen, Herr Scharf?

    Alexander Scharf: Unsere Gesellschaft fühlt sich über das Internet gut informiert, aber das tatsächliche Wissen darüber, was bei der Pränataldiagnostik passiert, ist eher dürftig.

    Als simples Beispiel: Was ist der Unterschied zwischen einem Pränataltest und einer Diagnose? Das wird häufig verwechselt. Unklar ist häufig auch, dass man erst nach einer gesicherten Diagnose, die erst durch eine invasive Gewebe-Entnahme zustande kommt, Konsequenzen ziehen kann, wie etwa den Abbruch der Schwangerschaft.

    Das sind Dinge, die im Vorhinein besprochen werden müssen, in der Realität passiert das viel zu selten.

    Dabei kommen 97 Prozent der Kinder ohne Fehlbildungen zur Welt. Gerade nicht-invasive Pränataltests (NIPT) werden von kommerziellen Anbietern aber direkt im Internet mit einer anderen Botschaft vermarktet. Und die ist immer eine von Angst und Schrecken, ohne dass hier konkrete Wahrscheinlichkeiten angegeben werden. Ich persönlich halte das für völlig unethisch.

Pränataldiagnostik – Möglichkeiten und Risiken

Den Unterschied zwischen pränatalen Tests und Diagnosen, was das Recht auf Nichtwissen ist und warum es die Garantie auf ein gesundes Kind nicht gibt, erklärt unsere Informationsseite zur Pränataldiagnostik. Mehr zu Pränataldiagnostik

Vor der ersten Pränataldiagnostik-Untersuchung

  • Sind Menschen durch das breite Diagnostik-Angebot heutzutage eher verunsichert als früher?

    KH: Ja, denn je mehr Angebote es gibt, desto höher ist der Druck, sie auch zu nutzen. Gerade jetzt, seit der NIPT eine Kassenleistung ist.

    AS: Der NIPT ist nur eine Methodik, die auch auf viele andere genetische Veränderungen angewendet werden kann. Man kann nach Trisomien auf den Chromosomen 21, 18 und 13 suchen, aber auch an anderen Stellen im Erbgut. Kommerziell bieten das Laborbetreiber schon an. Die Verunsicherung nimmt ganz klar zu. Hinzu kommt: Je seltener die genetische Erkrankung, nach der gesucht wird, desto häufiger kommt es zu falsch-auffälligen Ergebnissen.

  • Welche Fragen sollten sich Schwangere und werdende Eltern stellen, wenn sie darüber nachdenken, eine Pränataldiagnostik machen zu lassen, Frau Hellwig?

    KH: Den Paaren, die ein Kind erwarten, geht es vor allem um Gefühle von Beruhigung und Sicherheit. Sie machen einen NIPT oder andere vorgeburtliche Untersuchungen wie das Ersttrimester-Screening, um zu erfahren: Mit unserem ungeborenen Kind ist alles in Ordnung.

    Doch wenn man diese Tests in Anspruch nimmt, muss man sich bewusst machen, dass es auch ein auffälliges Ergebnis geben kann. Dadurch müssen dann weitere – zuverlässige invasive – Diagnoseverfahren in Anspruch genommen werden.

    Werdende Eltern müssen sich klar machen, dass sie sich bei bestimmten Ergebnissen womöglich die Frage stellen werden, ob sie das Kind überhaupt noch bekommen möchten. Das ist auf der emotionalen Ebene extrem schwer zu verarbeiten.

    Eltern sollten sich also auf jeden Fall die Frage stellen, wie sie mit einem eventuellen Ergebnis umgehen. Eltern, für die ein Abbruch nicht in Frage kommt und die gar nicht erst in die Situation kommen möchten, sich damit beschäftigen zu müssen, brauchen auch keine Pränataldiagnostik zu machen. Sie können ihr Recht auf Nichtwissen in Anspruch nehmen.

    AS: In der Realität sieht es natürlich anders aus, wenn man mit einer Verdachtsdiagnose konfrontiert ist.

    Man muss sich darüber im Klaren sein, dass genetisch gesunde Kinder schon in den ersten beiden Monaten bei der Organanlage in den meisten Fällen unauffällig sind. Im Umkehrschluss fallen genetische Erkrankungen, auch abseits der Trisomien, in der Regel bei einer Ultraschalluntersuchung auf. Wir haben damit durch den Ultraschall eine direkt anwendbare und sehr genaue Methode, um der individuellen Schwangeren gute, präzise Informationen zu liefern.

    Bei der Einführung von NIPT als Kassenleistung wurde versäumt, dieses sehr gute Instrument begleitend vorzusehen. Denn damit könnte man der individuellen Schwangeren sagen: Dieses Kind – in diesem Moment, in Ihrem Bauch – ist ganz unauffällig und damit ist Ihr Restrisiko, dass es ein Problem haben könnte, extrem niedrig.

    So würde man es Schwangeren viel leichter machen, sich angstreduziert und eigenbestimmt für oder gegen ein Testverfahren zu entscheiden. Das sind die Grundprinzipien, die wir anstreben sollten. Darum empfehle ich ganz klar, keinen NIPT ohne einen begleitenden Ultraschall zu machen.

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Wenn das Ergebnis auffällig ist

  • Warum richtet der NIPT als isoliert betrachtete Testmethode eher Schaden an?

    AS: Bei den Trisomien 18 und 13 sind NIPTs insbesondere bei jüngeren Patientinnen unter 35 nicht sehr aussagekräftig. Ein auffälliger Test für eine Trisomie 13 bei einer 30-jährigen hat einen relativ niedrigen Vorhersagewert. Umgekehrt ist es so, dass eine Trisomie 13 bei Schwangeren allen Alters in der Ultraschalluntersuchung höchst auffällig ist. Das heißt, der Ultraschall ist an dieser Stelle viel hilfreicher als ein NIPT. Der schafft unter Umständen eher Verwirrung, wenn er ohne Ultraschall angewendet wird.

    KH: Er schafft nicht nur Verwirrung, er führt auch zu unnötigen Schwangerschaftsabbrüchen: Frauen können den NIPT schon sehr früh – ab Beginn der 10. Schwangerschaftswoche – in Anspruch nehmen und sich, wenn sie ein auffälliges Ergebnis bekommen, für einen Abbruch im Rahmen der Beratungsregelung mit der Frist bis zur 14. Schwangerschaftswoche entscheiden. Und das, ohne eine weitere Diagnostik in Anspruch zu nehmen und zu prüfen, ob das NIPT-Ergebnis tatsächlich stimmt. Dabei könnte das Ergebnis mit einer nicht allzu geringen Wahrscheinlichkeit auch falsch sein.

    Wie ich von Kolleginnen und Kollegen aus der Beratung weiß, passiert das bereits: Da kommen Frauen, die sich das Kind in ihrem Bauch eigentlich gewünscht haben, aber sich aufgrund eines auffälligen NIPT-Tests für einen Abbruch entscheiden.

  • Was wäre denn der richtige Ablauf, wenn ein NIPT-Test auffällig ist, Herr Scharf?

    AS: Man muss dann aus dem Test-Bereich in den Raum der Diagnose kommen. Diese Differenzierung muss man immer wieder betonen. Der Verdachtsbefund muss mit einer diagnostischen Punktion, einer Gewebeentnahme, gesichert werden.

    Die Fruchtwasseruntersuchung birgt einige methodische Nachteile: Zum einen kommt sie erst ab er 16. Schwangerschaftswoche zum Einsatz, zum anderen braucht es mindestens eine Woche, bis man das Ergebnis hat. Weil NIPT-Tests aber sehr früh durchgeführt werden, macht man typischerweise keine Fruchtwasseruntersuchung, sondern eine Chorionzottenbiopsie, eine Probenentnahme aus der Plazenta. Dadurch kann man schneller Gewissheit haben. Die Idee ist, die Zeit des Wartens und des Bangens möglichst zu minimieren.

    Mit diesen Methoden können wir eine Diagnostik und maximale Sicherheit liefern und eigentlich kann erst danach eine Entscheidung getroffen werden.

    Es kann dabei jedoch mit einem sehr geringen Risiko zu einer Fehlgeburt kommen. Das Risiko dafür wird im Internet oft höher angegeben als es ist. In der Realität liegt es bei 1:1.600.

  • Was passiert, wenn ein belastender Befund bestätigt wird? Wie kann werdenden Eltern geholfen werden?

    KH: Das ist zunächst mal für alle Eltern eine entsetzliche Situation. Jede Option fühlt sich für die Betroffenen falsch an, egal, was sie machen und wie sie jetzt entscheiden. Es gibt die Diagnose, jedoch meist keine wirklich genaue Prognose darüber, was das nun für das Leben dieses Kindes genau bedeutet. Dabei sind Ärztinnen und Ärzte immer in der Pflicht, auch über den schlimmstmöglichen Verlauf aufzuklären. Das macht den Eltern verständlicherweise große Angst.

    Psychosoziale Beratungen können dabei unterstützen, eine Entscheidung zu treffen. Vor uns können die Eltern all ihre Ambivalenzen darlegen, wir stellen in den Gesprächen die entsprechenden Fragen, sodass sie eine tragfähige Lösung finden können. Oft wollen Eltern sehr schnell zu einer Entscheidung kommen, um dieser furchtbaren Situation zu entkommen. Da rate ich eher, sich Zeit zu nehmen und sich klarzumachen, dass diese Entscheidung nicht mehr zurückzunehmen ist.

    Unsere Beratungsstelle ist auf das Thema Pränataldiagnostik spezialisiert, aber im Prinzip können Eltern dieses Angebot bei jeder Schwangerschaftsberatungsstelle in Anspruch nehmen.

  • Es kursieren unklare Zahlen zum Risiko, es gibt zeitlichen Druck, die schwangeren Frauen befinden sich ohnehin in einem Ausnahmezustand. Was passiert da psychologisch in den Köpfen? Wie gehen Schwangere damit um?

    KH: Meistens verliert die schwangere Frau zunächst mal den Kontakt zum Kind. Manche sagen etwa, dass sie keine Bewegungen mehr spüren oder das auch gar nicht mehr wollen. 

    Selbst wenn es auf einen Abbruch hinausläuft, ist es mir in der Beratung ein Anliegen, dass Eltern und vor allem die Mütter trotz allem in der Verbindung zum Kind bleiben. Denn die Eltern treffen ja die Entscheidung nicht gegen das Kind, sondern es geht um die eigenen Ängste. Das sind furchtbar schmerzhafte Prozesse, aber ich erlebe es als heilsamer, wenn die Frau in ihrer Liebe zu dem Kind verbleibt, als wenn sie sich komplett davon abschneidet und versucht, die ganze Angelegenheit schnell zu vergessen.

    Gerade bei sehr frühen Abbrüchen habe ich erlebt, dass die Frauen versuchen, zu verdrängen. Das funktioniert meiner Erfahrung nach nie gut.

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Was würde Eltern entlasten?

  • Wie sieht aus Ihrer Sicht die ideale gesellschaftliche Debatte zur Pränataldiagnostik aus? Was muss sich ändern, damit schwangeren Frauen optimal geholfen werden kann?

    KH: Im Gendiagnostikgesetz ist festgeschrieben, dass jede Frau, die eine genetische Untersuchung in Anspruch nimmt, vorab umfassend informiert werden muss. Das wird in den Praxen in der Regel nicht umgesetzt.

    Auch die Alternativen sind nicht bekannt: Statt zur Gynäkologin oder zum Gynäkologen kann eine schwangere Frau auch zu einer Hebamme gehen. Das ist eine hervorragende Vorsorge, aber es gibt eben kein Ultraschallgerät. Dadurch rutscht man nicht so in die Pränataldiagnostik rein, wie das bei Ärzten passieren kann.

    Der dritte Punkt ist natürlich eine Gesellschaft, die Menschen mit Behinderung auf eine andere Art willkommen heißt und andere Strukturen schafft. Betroffene Eltern kreisen um Ängste, wie das Leben weitergehen würde. Werden wir ausgeschlossen? Bekommen wir überhaupt einen Krippenplatz? Was ist, wenn wir alt sind und das Kind erwachsen?

    AS: Wir leben in einer Gesellschaft, in der immer weniger Frauen in immer höherem Alter immer weniger Kinder bekommen. Das verändert den Umgang mit Schwangerschaft und mit kindlicher Gesundheit. Der Eigenanspruch unserer Gesellschaft an Toleranz und Vielfalt und die gelebte Realität driftet sehr auseinander.

    Man müsste viel früher ansetzen und schon in den Schulen der Thematik sowohl aus ethischer als auch biologischer Sicht größeren Raum bieten. Das muss aber langfristig angegangen werden. Es nützt nichts, wenn man einmal im Jahr den 21. März als Tag des Downsyndroms feiert.

  • Das Interview fand im November 2022 statt. Wir danken den beiden Experten für das Gespräch.

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