Junge Frau macht Aufnahmen von sich mit dem Handy

Oversharing: Was ist das und welche Bedeutung hat es?

„Oversharing“ ist das Phänomen, ungefragt private Details oder Geschichten auszupacken – auf Social Media, aber auch im echten Leben. Wieso neigen viele Menschen zu so einem Seelenstriptease – und wie gehst du als Gegenüber damit um?

Dein Flirt erzählt dir bei eurem ersten Date von Verdauungsproblemen oder die alte Dame im Zug hört nicht auf, über ihr Kindheitstrauma zu klagen? Unangenehm! Bestimmt kennst du solche Situationen, die man auch als „Oversharing“ bezeichnet. Doch auch andersherum passiert es dir vielleicht ab und zu, dass dir ein kalter Schauer den Rücken runter läuft, weil du zu viel erzählt hast.

Was ist Oversharing?

Oversharing bedeutet zunächst, dass Menschen ungefragt zu viele Informationen über sich preisgeben. Der Begriff entstand im Rahmen von Social Media, wenn Userinnen und User auf Facebook, Instagram und Co. Privates mit einer breiten Öffentlichkeit teilen, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen oder Gleichgesinnte zu finden. Dazu gehören zum Beispiel: Foodporn (das Fotografieren jeder Mahlzeit am Tag), die Veröffentlichung möglichst vieler Gedankengänge (auch Seelenstripease oder Brainfarts genannt), Rants (Wutausbrüche im Netz), aber auch Overtagging (möglichst viele andere Userinnen und User auf Beiträgen markieren).

Doch auch abseits der Inhalte im Internet kommt das Phänomen immer wieder vor. Wo Oversharing beginnt, lässt sich nicht pauschal sagen. Es kommt immer auf die individuelle Wahrnehmung, den Kontext und die Beziehung zum Gegenüber an. Manchmal macht es sympathisch, private Details zu teilen, manchmal wirkt es überfordernd.

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Was sind Gründe für Oversharing?

Dr. Anna Bruk ist Forscherin am Lehrstuhl für Mikrosoziologie und Sozialpsychologie an der Universität Mannheim. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung intensiv mit dem Zeigen von Verletzlichkeit. Die Grenzen sind fließend: Das, was von einer Person als Oversharing wahrgenommen wird, kann auf eine andere Person eher erfrischend authentisch wirken und die Beziehung positiv beeinflussen.

Es gibt aber auch Situationen, in denen sich die meisten einig wären, dass zu viel und/oder zu schnell mitgeteilt wurde. Für Bruk geht es hierbei vor allem um Folgendes: „Fehlende Selbstsicherheit und die Angst, die Verbindung zu verlieren“. Man versuche mit Oversharing zu schnell eine Verbindung herzustellen, wenn noch keine Vertrauensbasis vorliegt.

„Es ist also oft ein Versuch, die Unsicherheit zu vermeiden, die am Anfang von jeder neuen Verbindung da ist“, erklärt die Psychologin. Je schwächer die Beziehung zu sich selbst ist, desto schneller versuche man die Beziehung zu anderen zu beschleunigen.

Die Psychotherapeutin Amy Morin beschreibt in „Psychology Today“ außerdem folgende Gründe fürs zu schnelle Teilen von zu vielen Informationen:

1. Das trügerische Gefühl von Intimität

Amy Morin nennt den Besuch beim Friseur oder der Friseurin als Beispiel. Wir kennen die Person oft überhaupt nicht und dennoch neigen wir dazu, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Das kommt unter anderem daher, dass uns der Friseur oder die Friseurin durch die „Arbeit am Kopf“ körperlich nah ist – und so ein Gefühl der Intimität vermittelt. Ganz so, als seien sie eine gute Freundin oder der Lebenspartner.

2. Den sehe ich ja eh nie wieder!

Manchmal ist es erstaunlich leicht, sich mit Fremden auszutauschen. Denn: Die Person sehen wir ja sowieso nie wieder und wir müssen uns nicht vor negativen Bewertungen fürchten. Dann können wir uns ja all den Kummer von der Seele reden – oder? Nicht unbedingt: Für den Zuhörer oder die Zuhörerin kann das unangenehm sein.

3. Verlegenheit

Manchmal verleiten unangenehme Situationen in einer noch eher oberflächlichen oder förmlichen Beziehung uns dazu, sie durch Oversharing zu kompensieren. Private Geschichten sollen dann helfen, die Beziehung auf eine andere Ebene zu heben. Quasi ein Vertrauensvorschuss – in der Hoffnung, dass die andere Person darauf eingeht.

4. Schwammige Grenzen

Oversharern fehlt es manchmal an persönlichen Grenzen beziehungsweise haben sie ihre Grenzen anders gesteckt als ihr Gegenüber. Sie können dann nicht einschätzen, welche Gesprächsthemen gerade angebracht sind und welche nicht.

5. Dem Gegenüber ein gutes Gefühl vermitteln

Fürsorgliche Zuhörerinnen und Zuhörer reagieren häufig mit Oversharing auf Oversharing. Sie erzählen Details zu einem intimen Thema, damit ihr Gegenüber sich gut damit fühlt, so viel von sich preisgegeben zu haben. Amy Morin beschreibt außerdem das Phänomen, dass Oversharer das ausnutzen könnten und bewusst intime Details veröffentlichen, um der anderen Person Privates zu entlocken.

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Wie gehe ich mit Oversharing um?

Solltest du (regelmäßig) mit Oversharing konfrontiert werden und dich damit unwohl fühlen, rät Bruk: direkt, ehrlich und wertschätzend Grenzen setzen. Das könnte zum Beispiel so aussehen: „Ich schätze deine Ehrlichkeit und das Vertrauen, das du mir entgegenbringst. Und ich will auch ehrlich sein und dir sagen, dass ich ungern über dieses Thema spreche. Danke für dein Verständnis.“ Psychotherapeutin Morin weist zudem darauf hin, dass du dich nicht gezwungen fühlen solltest, Privates zu teilen, nur weil dein Gegenüber das tut.

In den sozialen Medien ist der Umgang mit nervigen Inhalten natürlich einfacher: der Person entfolgen – oder einfach mal seltener Instagram checken.

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Wie kann ich Oversharing vermeiden?

Aber was kann ich tun, wenn ich selbst immer wieder zu viel von mir erzähle und es immer wieder bereue? „Eine wichtige Voraussetzung, um im gesunden Maße Verletzlichkeit zu zeigen — also ohne Oversharing — ist das Selbstmitgefühl“, so Bruk. Selbstmitgefühl beinhaltet laut der Psychologin drei Aspekte: einen freundlichen Umgang mit sich selbst, das Bewusstsein dafür, dass imperfekt zu sein absolut menschlich ist und einen achtsamen Umgang mit den eigenen Unzulänglichkeiten; sich also weder reinsteigern noch davor fliehen.

Denn wenn genug Selbstmitgefühl vorhanden ist, müssen wir uns vor eigenen Fehlern und Makeln nicht verstecken und können offener damit umgehen. Bruk: „Gleichzeitig würden wir andere Menschen mit unserer Verletzlichkeit nicht zu schnell überschütten, weil wir ein stabiles Selbstwertgefühl haben und nicht so stark auf die Bestätigung von außen angewiesen sind.“ Und Selbstmitgefühl kann man sogar trainieren, zum Beispiel durch Meditation, Schreibübungen oder sich einfach mal selbst in den Arm nehmen. 

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