Als mein Großvater mit dem Rauchen aufhörte, legte er seine letzte Packung HB unter das rechte Vorderrad seines blauen VW T3 und fuhr wiederholt vor und zurück. Er fuhr die Schachtel so platt er konnte. Als ich mit dem Rauchen aufhörte, war das Schlussmachen weniger dramatisch. Aber es glich sich in einem Punkt: Ich hörte ebenfalls von heute auf morgen damit auf – nachdem ich in den 14 Jahren zuvor bis zu zwei Schachteln Zigaretten pro Tag geraucht hatte. Was folgte war ein kalter Entzug, inklusive der ein oder anderen Entzugserscheinung. Außerdem mindestens zwei orientierungslose Wochen, in denen ich meinen Alltag als Ex-Raucher neu strukturieren musste.
Die letzte Zigarette. Oder: das neue Leben als Ex-Raucher
Der Abschied von der Zigarette ist für die meisten Raucher hart. Schuld sind Entzugserscheinungen und erlernte Verhaltensweisen, die das Aufhören erschweren. Oft geht es dabei um ganz selbstverständliche Routinen. Denn im Leben eines Rauchers gibt es viele Situationen, in denen der Griff zur Zigarette fester Bestandteil des Alltags ist.
Unser Autor Marcel Braun* (Name von der Redaktion geändert) war 14 Jahre lang abhängig vom Nikotin und rauchte bis zu zwei Packungen pro Tag. Dann hat er von einem Tag auf den anderen damit aufgehört und musste sein Leben als Ex-Raucher neu erfinden.
Vom überzeugten Raucher zum Ex-Raucher
Eigentlich war ich mit meiner Nikotin-Sucht über all die Jahre zufrieden. Deshalb hatte ich lange nicht versucht mit dem Rauchen aufzuhören. Ich rauchte gerne und viel. Ich rauchte morgens auf dem Balkon und auf dem Fußweg von der U-Bahn zur Arbeit. Ich rauchte in jeder Kaffeepause. Ich rauchte vor dem Essen und nach dem Essen. Ich rauchte, wenn ich irgendwo auf einen Freund wartete und ich rauchte, wenn er eintraf. Die Zigarette und ich waren über viele Jahre ein gutes Team – in guten wie in schlechten Zeiten. Und das, obwohl ich die negativen Auswirkungen auf meinen Körper sehr wohl wahrnahm. Diese reichten von Kurzatmigkeit bis zum Raucherhusten.
Anfang 2018 wurde bei mir eine Gastritis diagnostiziert. Auf diese chronische Entzündung der Magenschleimhaut hat die Zigarette, genauer gesagt der Zigarettenrauch, einen ähnlichen Effekt wie ihn ein Dünger auf Pflanzen hat. Der Rauch fördert die Entzündung, lässt sie wachsen und gedeihen. Also beschäftigte ich mich gedanklich das erste Mal ernsthaft mit der Frage, ob es nicht vielleicht klug wäre, meinem Körper zuliebe mit dem Rauchen aufzuhören. Schließlich gibt es neben einer Gastritis noch zahlreiche andere Anlässe für den Start in ein rauchfreies Leben. Man denke nur an all die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Folge des Rauchens sind. Und das Deutsche Krebsforschungszentrum kennt sicher noch viele weitere gute Gründe für einen Rauchstopp.
E-Zigarette und App helfen beim Rauchstopp
War der Gedanke erst einmal gereift und der ein oder andere Tipp eingeholt (ich hatte ja keinerlei Erfahrung im Aufhören) war der Rauchstopp beschlossene Sache. Ich kaufte keine Zigaretten mehr, was zur Folge hatte, dass meine Laune im Keller war. Dann entdeckte ich irgendwo in einer Ecke meiner Wohnung doch noch eine Zigarette. Meine Laune stieg rapide an. Ich rauchte diese letzte Zigarette und beschloss dabei, mir in Zukunft meine Laune nicht mehr vom Glimmstängel diktieren zu lassen und künftig Nichtraucher zu sein. Ich entschied mich also für die sogenannte „Schlusspunktmethode“. Diese ist eigentlich eher für Raucher mit geringem Zigarettenkonsum gedacht. Im Gegensatz zur „Reduktionsmethode“, bei der das Rauchen schrittweise reduziert wird.
Zur Unterstützung besorgte ich mir am nächsten Tag zweierlei: eine E-Zigarette, auf die ich im Notfall zurückgreifen konnte, falls die Entzugserscheinungen an manchen Tagen besonders schlimm werden würden. Und eine kostenlose Nichraucher-App, von denen es mittlerweile eine Menge gibt. Diese App führte mir das erste Mal vor Augen, was 14 Jahre als Raucher in Zahlen bedeutete. Laut App liest sich meine erschreckende Vergangenheit als Raucher nämlich so: 124.100 gerauchte Zigaretten, die 36.665,91 Euro kosteten. Diese Zigaretten jagten mir 1.489.200 Milligramm Teer in die Lunge plus diverse Giftstoffe wie Kohlenmonoxid, Aceton, Arsen, Benzol oder Formaldehyd.
Psychischer und körperlicher Entzug
Die erste Woche nach dem Aufhören war die Schlimmste. Manchmal sehnte ich mich so sehr nach der nächsten Zigarette, dass der Nikotinentzug zur echten Qual wurde. Und fast immer hatte ich ein flaues Gefühl, das ähnlich stark und unangenehm war wie ein schlechtes Gewissen. Ein Unwohlsein, das den Stresspegel steigen lässt, einem den ganzen Tag versaut und obendrein zu Schlafstörungen führt. Mit dem Rauchen aufzuhören ist wohl wirklich reine Kopfsache. Auch insofern, dass ich keinen körperlichen Entzug im Sinne von Schmerzen, Krämpfen oder Zitteranfällen hatte. Doch dieses Unwohlsein war nicht das einzige Problem.
In den 14 Jahren als Raucher hatten sich bei mir allerlei Rituale herausgebildet, denen ich Tag für Tag folgte: Die Zigarette nach dem Aufstehen. Die Zigarette nach dem Essen und davor. Die letzte Zigarette des Tages. Zudem gab es zahlreiche Auslöser, auf die ich jahrelang immer zuerst mit dem Griff zur Zigarette reagiert hatte. Ich fragte einen Arbeitskollegen ernsthaft, was Nichtraucher tun, wenn sie gestresst sind. Ich wusste es nicht mehr. Kurzum: Meine erste Woche als Nichtraucher war geprägt von unschönen Entzugserscheinungen.
Mein Leben ohne Zigarette
Ich wusste nicht, wie ich als Ex-Raucher morgens in den Tag starten sollte. Ich wusste nicht, was ich auf dem Weg zur U-Bahn tun sollte. Ich setzte mich trotz schönstem Wetter nicht mehr auf den Balkon. Ich blieb lieber im Haus, weil ich an der frischen Luft nur noch mehr Lust auf eine Zigarette bekam.
Als frisch gebackener Nichtraucher machte ich bald keine Kaffeepausen mehr, stellte das Kaffeetrinken sogar komplett ein. Und wenn ich irgendwo auf einen Freund wartete, wurde ich ohne meine Portion Nikotin sehr schnell sehr nervös. Die Zigarette und ich waren über viele Jahre zum Paar geworden – und plötzlich mussten wir ohne einander auskommen. Es gab wirklich Momente, da befürchtete ich ernsthaft, dass mein Leben als Ex-Raucher nie wieder so erfüllt werden würde wie es als Raucher einmal war.
Die gesamte Entwöhnung dauerte mehrere Monate. Geholfen haben mir der Sport als Ausgleich zu meiner Nervosität. Zudem verhinderte er eine größere Gewichtszunahme und baute meinen Stress insgesamt ab. Geholfen hat mir außerdem, dass ich viele Menschen über meinen Entschluss informiert hatte. Denn die Blöße über mein Scheitern wollte ich mir vor anderen ganz sicher nicht geben.
Geholfen hat mir, dass ich mir immer wieder vor Augen führte, wie sinnbefreit das Rauchen doch eigentlich ist. Und geholfen haben mir die vielen positiven Veränderungen am eigenen Körper, die sich Schritt für Schritt bemerkbar machten. Meine Kondition ist mittlerweile um ein Vielfaches besser. Die Kurzatmigkeit ist verschwunden und der Raucherhusten ebenso. Außerdem ist es mir heute egal, ob es draußen regnet oder schneit. Ich muss ja nicht mehr zum Rauchen raus. Alles durchweg positive Erfahrungen.
Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich seit 9 Monaten, 13 Tagen, 3 Stunden und 2 Minuten rauchfrei. Meine Gegenwart als Nichtraucher liest sich bei meiner App wie folgt: 5.901 nicht gerauchte Zigaretten, die 1.742,67 Euro gekostet hätten. Und 70.819 Milligramm Teer, den ich nicht durch meine Lunge gejagt habe. Aber zugegeben, die Bilanz ist nicht ganz richtig.
Denn ich gönne mir ab und an wieder eine Zigarette zum Bier. Dann aber ganz bewusst, ohne Verlangen und ohne Abhängigkeit von Nikotin. Für mich ist eine Zigarette heute ein reines Genussmittel. Das Nichtrauchen ist dabei frei von jeglichen Entzugserscheinungen. Was das Leben als Ex-Raucher betrifft, bin ich also nicht ganz so konsequent wie mein Großvater es war. Der hörte nämlich nicht nur dramatisch mit dem Rauchen auf. Er hat sein Leben lang auch nie wieder eine einzige Zigarette geraucht.