Organspende: Vom Mückenstich zum neuen Herz

Redaktion
Sven von Thülen

Ein unscheinbarer Insektenstich führte Hubert Knicker auf eine lebensverändernde Reise. Von der Diagnose einer Herzmuskelentzündung bis zur Herztransplantation erzählt er von Verzweiflung, neuem Lebensmut und der Notwendigkeit, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen.

Zur Person

Hubert Knicker lebt seit dem Jahr 2010 mit einem Spenderherz. Er engagiert sich ehrenamtlich für das Thema Organ- und Gewebespende. In Schulen und Vereinen spricht er über seine Krankengeschichte und seinen Alltag mit dem gespendeten Organ.

Vom Insektenstich zum Spenderherz

Herr Knicker, Sie waren 37 Jahre alt, als Sie im Urlaub von einer Mücke gestochen wurden. Was erst einmal harmlos klingt, war der Beginn einer langen Leidensgeschichte.

Hubert Knicker: Das stimmt. Ich wurde gestochen und hatte danach gesundheitliche Probleme. Zunächst wurde das mit entzündungshemmenden Salben behandelt, und ich war vier Wochen krank. Nach einem Vierteljahr bekam ich Fieberschübe, die ich zunächst ignorierte. Am 4. Dezember 1995, einen Tag, bevor ich mit meiner Frau in den Urlaub fahren wollte, hatte ich mit einer Kollegin Nachtwache. Ich arbeitete damals als Krankenpfleger. Abends musste ich notfallmäßig Blut in das Labor bringen. Urplötzlich musste ich auf halber Strecke stehen bleiben. Ich hatte massive Atemnot.

Wie ging es dann weiter?

Ich bin am nächsten Tag zu meinem Hausarzt, der mich sogleich zu einem Kardiologen überwies, wo anhand einer Echokardiografie ein Pleuraerguss (Wasser im Lungenzwischenraum) festgestellt wurde. Daraufhin überwies mich der Kardiologe ins Krankenhaus. Dort auf der Intensivstation angekommen, fanden mehrere Untersuchungen statt. Die Diagnose: eine Herzpumpleistung von nur 30 Prozent.

Das zu hören, muss ein echter Schock gewesen sein.

Ja, vor allem auch, weil die Ärzte dort meiner Frau mitteilten, dass ich eine geringe Überlebenswahrscheinlichkeit hätte. Sie solle froh sein, wenn sie mich wieder lebend aus dem Krankenhaus bekommt.

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War zu dem Zeitpunkt klar, dass Sie ein Spenderherz benötigen würden?

Nein, ich wollte kein Spenderherz. Die Vorstellung, ein fremdes Organ in mir zu tragen, war für mich zu dem Zeitpunkt unerträglich. Ich war mir sicher, dass sich die Ärzte mit dem Befund vertan hatten. Ich fühlte mich ja gar nicht so schlecht, wie die es darstellten. Ich war dann erstmal drei Wochen im Krankenhaus, und wurde kurz darauf in einer Rehaklinik aufgenommen. Dort half mir eine Sozialarbeiterin, einen Rentenantrag zu stellen. Meine Zeit als Krankenpfleger, als Arbeitnehmer, war damit vorbei. Mir wurde dringend geraten, regelmäßig zum Kardiologen zu gehen. Sechs Monate später hatte ich es dann schriftlich: mein Rentenbescheid mit dem Vermerk „Erwerbsunfähigkeitsrentner“.

Wie sind Sie damit umgegangen?

Die Frage, die ich mir stellte, war: Was mache ich jetzt noch mit dem Rest meines Lebens? Ich habe mich dann in verschiedenen Vereinen engagiert. Mir war es wichtig, aktiv zu bleiben. Ich war ja noch jung. Für einige Jahre war mein Leben einigermaßen erträglich. Bis ich dann beim Rasenmähen vom Aufsitzrasenmäher fiel. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich dort in den Himmel schauend im Gras lag und mich gefragt habe: „Was war das? Hatte ich einen Herzstillstand?“ Ich hatte panische Angst. Ich wollte aufstehen, war aber zu schlapp. Stattdessen habe ich mich auf allen vieren in die Wohnung zu meiner Frau geschleppt. Sie rief geistesgegenwärtig den Hausarzt an, der dann auch sofort kam. Während ich am EKG angeschlossen war, sagte der Hausarzt mit ernstem Blick: „Frau Knicker, rufen Sie den Notarzt an, Ihr Mann ist im Herzkammerflimmern (Plötzlicher Herztod), er muss defibrilliert werden.“ Also landete ich wieder auf der Intensivstation und kurz darauf wurde ich ins Herzzentrum Bad Oeynhausen verlegt, wo ich einen Defibrillator eingesetzt bekam. Von da an war ich dort sozusagen Stammkunde.

Wie war das Leben mit dem Defibrillator?

Ich habe ihn damals als meinen Lebensretter bezeichnet. Aber trotzdem musste ich damit erstmal klarkommen. Ich hatte Angst. Wie ist es, wenn der ausschlägt? Wenn man sich dann dran gewöhnt hat und es keine Ausschläge gab, denkt man, dass die Welt in Ordnung ist. Ich habe es mir dann zum Beispiel auch nicht nehmen lassen, wieder schwere Einkäufe zu tragen. Mir war es immer unangenehm, wenn andere sahen, wie meine Frau schwer bepackt war und ich nichts trug. Ich wollte nicht wie ein Pascha daherkommen. Meine Frau hat mich irgendwann machen lassen, nach dem Motto: Soll er sehen, was er davon hat. Ich habe dann teilweise auch Defi-Schläge bekommen, weil die Anstrengung zu groß war.

Gesundheits-Check-up

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Ein Spenderherz zu bekommen war auch da noch kein Thema für Sie?

Nein. Jetzt hatte ich ja einen Defi. Jetzt hieß es erstmal abwarten. Und ich war nach wie vor der Meinung, dass ich lieber sterben würde, als mit einem Spenderherz zu leben – sehr zum Unwillen meiner Frau. Ich weiß nicht, warum ich damals so widerspenstig war. Zu einer Organspende nach meinem Tod war ich bereit, aber ich wollte nichts Fremdes in meinem Körper haben. Ich habe auch gehofft, dass sich mein Herz wieder stabilisiert.

Wann begann das Umdenken?

Als ich 2007 eines nachts acht Defi-Schläge hintereinander bekam. Wieder ging es sofort ins Herzzentrum Bad Oeynhausen. Dort wurde ich auf die Herztransplantationschirurgie verlegt. Mir wurde klar, dass ich die Wahl hatte: entweder sterben oder ein Leben mit einem Herzunterstützungssystem, auch Kunstherz genannt. Die Silberhochzeit mit meiner Frau stand an, und auch mein Sohn wollte heiraten. Diese beiden Familienfeste wollte ich noch miterleben.

Wann bekamen Sie dann das Herzunterstützungssystem implantiert?

2008. Damit wurde ich auch automatisch bei Eurotransplant in Leiden gelistet, mit dem Dringlichkeitsstatus "T" (transplantabel).

Wie lange haben Sie damit gelebt?

Zwei Jahre. Das war eine gute Zeit. Nach zwei Jahren hatte das Kunstherz dann einen mechanischen Defekt. Ich musste wieder ins Herzzentrum. Und jetzt war mein Status bei Eurotransplant dringlich. Laut der offiziellen Richtlinie zur Organtransplantation bedeutete das auch, dass ich nicht mehr nach Hause durfte, bis ein Spenderherz zur Verfügung stand.

Das Warten muss hart gewesen sein.

Ich habe oft gebetet und gesagt, lieber Gott, bitte vergiss mich nicht. Damals warteten sieben andere Patienten mit mir auf ein Spenderherz. Vier davon verstarben in der Klinik. Am 24. Juli 2010 bekam ich den erlösenden Anruf: Ein Spenderherz war für mich da. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich in den OP geschoben wurde. Die Transplantation dauerte elf Stunden. Es war, als ob die Zeit stehen bleibt. Ich wusste, dass sich mein Leben für immer verändern würde.

Das Leben nach der Transplantation

Wie lange dauerte die Reha nach der Transplantation?

Ich wurde im September entlassen, nachdem ich noch an der Lunge operiert werden musste. Ich sollte zur Reha, aber ich wollte keine Weißkittel mehr sehen. Ich habe meine eigene Reha an der Nordsee gemacht. Die frische Luft und die Weite des Meeres gaben mir Kraft und halfen mir, mich zu erholen.

War es zu dem Zeitpunkt klar, dass Sie sich zum Thema Organspende engagieren wollen?

Ja. Ich wollte, dass sich die Menschen mit dem Thema befassen, egal ob sie sich dafür oder dagegen entscheiden. Deswegen habe ich eine Präsentation erstellt. Ich erinnere mich an die ersten Vorträge, die ich hielt, und die Reaktionen der Menschen. Es war bewegend zu sehen, wie meine Geschichte andere berührte und zum Nachdenken anregte. Ich habe gemerkt, dass viele Menschen Vorurteile oder Ängste haben, wenn es um Organspende geht.

Rehabilitation und Vorsorge

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Ein zweites Leben – eine neue Aufgabe

Sie halten heute Vorträge zum Thema Organspende. Wie reagieren die Menschen darauf, und was möchten Sie mit Ihren Vorträgen erreichen?

Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich, aber meistens positiv. Viele Menschen kommen nach den Vorträgen zu mir und sagen, dass sie sich vorher nie wirklich mit dem Thema Organspende auseinandergesetzt haben. Einige erzählen mir, dass sie nach meinem Vortrag beschlossen haben, einen Organspendeausweis auszufüllen. Das berührt mich jedes Mal sehr. Mein Ziel ist es, die Menschen zu informieren und ihnen die Angst vor dem Thema zu nehmen. Ich möchte zeigen, dass Organspende Leben retten kann – so wie es bei mir der Fall war. Es geht mir nicht darum, jemanden zu überreden, sondern darum, dass sich jeder bewusst mit der Entscheidung auseinandersetzt.

Ihre Geschichte wurde auch in einem Comic verarbeitet. Wie kam es dazu, und wie fühlen Sie sich dabei, Ihre Geschichte auf diese Weise erzählt zu sehen?

Das war eine besondere Erfahrung für mich. Die Idee kam von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, mit der ich schon länger zusammenarbeite. Sie wollten meine Geschichte in einer Graphic Novel erzählen, um das Thema Organspende auf eine neue, zugängliche Weise zu vermitteln. Anfangs war ich skeptisch, weil ich mir nicht vorstellen konnte, wie ein Comic meine Geschichte und die Ernsthaftigkeit des Themas transportieren könnte. Aber als ich die ersten Entwürfe gesehen habe, war ich begeistert. Der Comic schafft es, die emotionalen Höhen und Tiefen meiner Reise einzufangen und gleichzeitig auf eine leichte, verständliche Weise zu informieren. Es ist ein großartiges Gefühl zu wissen, dass meine Geschichte auf diese Weise noch mehr Menschen erreichen kann – vor allem auch jüngere Leute, die sich vielleicht sonst nicht so intensiv mit dem Thema beschäftigen würden.

Graphic Novel „Ein neues Herz für Hubert K.“ © Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) (Hrsg.)

Was hat sich durch die Transplantation in Ihrem Leben verändert?

Alles. Ich habe eine neue Perspektive auf das Leben bekommen. Früher habe ich viele Dinge als selbstverständlich angesehen, aber heute weiß ich, wie kostbar jeder Moment ist. Ich habe gelernt, die kleinen Dinge zu schätzen – ein Spaziergang, ein gutes Gespräch, Zeit mit meiner Familie.

Die Graphic Novel „Ein neues Herz für Hubert K.“ kann man hier lesen:

https://www.organspende-info.de/erfahrungen-und-meinungen/graphic-novel/

Der Weg zu einem Leben mit Spenderherz

Hubert Knicker schildert in seinem Buch "Danke für den Rest Deines Lebens" seine Gedanken, Ängste, Rückschläge und das Warten auf das Spenderorgan, ein neues Herz. Gleichzeitig macht er Mut, die Chance eines "zweiten Lebens" anzunehmen. Und er beweist, wie wichtig Organspende ist.

ISBN 978-3943569056

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Sven von Thülen

Veröffentlicht am 27.08.2025

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