Selbstverschuldete Arbeitsunfähigkeit und Entgeltfortzahlung

Redaktion
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Wer erkrankt und arbeitsunfähig ist, erhält Entgeltfortzahlung. Dieser grundsätzliche Anspruch setzt jedoch voraus, dass die Ursache der Arbeitsunfähigkeit nicht vom Arbeitnehmer verschuldet wurde. Wer sich selbst in Gefahr begibt, etwa durch Hochrisiko-Sportarten, eine Tätowierung oder eine Schönheits-OP, riskiert nicht nur seine Gesundheit, sondern auch die Fortzahlung seines Entgelts.

Grundsätzlicher Anspruch

Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) besteht nur dann ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn drei Bedingungen erfüllt sind:

  • Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist alleinige Ursache der Arbeitsverhinderung.

  • Das Arbeitsverhältnis besteht mindestens vier Wochen ununterbrochen.

  • Die Arbeitsunfähigkeit wurde nicht durch den Beschäftigten verschuldet.

Ein Verschulden liegt vor, wenn Arbeitnehmer "in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstoßen" (BAG, Urteil vom 27.5.1992, 5 AZR 297/91). Allerdings führt nicht jedes riskante Verhalten automatisch zu einer selbstverschuldeten Arbeitsunfähigkeit. Die Bewertung erfolgt stets im Einzelfall durch das Arbeitsgericht.

Aktuelle Rechtsprechung: Tätowierung

Das LAG Schleswig-Holstein entschied kürzlich (Urteil vom 22.5.2025, 5 Sa 284 a/24), dass Komplikationen nach einer Tätowierung als selbstverschuldet gelten. Die klagende Arbeitnehmerin hatte nach einer Tattoo-Entzündung keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, da sie durch eine freiwillige Körperverletzung grob fahrlässig mit ihrer Gesundheit umgegangen war und sich eine vermeidbare Folgeerkrankung zugezogen habe.

Die Kieler Arbeitsrichter hatten zwar keine Revision zugelassen, es ist aber eine Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG erhoben worden (5 AZN 370/25).

Wann liegt Selbstverschulden vor?

  • Sport auf einem Niveau, das Kräfte und Fähigkeiten deutlich übersteigt (z. B. Skianfänger auf einer „schwarzen“ Skipiste), grob fahrlässiges oder vorsätzlich regelwidriges Verhalten

  • Ungeeignete Ausrüstung, fehlende Sicherheitsvorkehrungen oder erkennbar schlechter Zustand der Sportanlage

  • Risikosportarten wie Kickboxen (bislang einzige gerichtlich anerkannte Hochrisiko-Sportart, vgl.  ArbG Hagen, Urteil vom 15.9.1989, 4 Ca 648/87)

  • Ausübung eines Sports, der mit einer ärztlich festgestellten Erkrankung nicht vereinbar oder gar geeignet war, den Heilungsprozess zu verzögern (BAG, Urteil vom 7.10.1981, 5 AZR 338/79)

  • Alkoholbedingte Unfälle (jedoch nicht bei Alkoholabhängigkeit)

  • Komplikationen nach medizinisch nicht indizierten Eingriffen wie Schönheits-OPs oder Tätowierungen

Wann liegt kein Selbstverschulden vor?

Ein regelgerechtes Ausüben von Risikosportarten unter Nutzung der vorgesehenen Sicherheitsausrüstung führt nicht automatisch zu Selbstverschulden. Sportarten wie Amateurboxen, Drachenfliegen, Fallschirmspringen, Kampfsportarten, Moto-Cross-Rennen oder Skispringen gehören nicht automatisch zu jenen Aktivitäten, bei denen von Selbstverschulden ausgegangen werden kann.

Nachweispflicht bei Arbeitsunfähigkeit

Arbeitgeber tragen die Beweislast für das Verschulden der Beschäftigten. Diese sind jedoch zur Mitwirkung verpflichtet (BAG, Urteil u. a. vom 1.6.1983, 5 AZR 536/80). Die Entgeltfortzahlung kann nur unter den im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) genannten Voraussetzungen verweigert werden.

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IKK classic

Veröffentlicht am 01.09.2025

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