Es ist die größte inklusive Sportveranstaltung, die es in Deutschland jemals gegeben hat: Vom 17. bis 25. Juni finden in Berlin die Special Olympics World Games 2023 statt. Special Olympics ist die größte Bewegung für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Mehr als 7.000 Athletinnen und Athleten aus mehr als 190 Ländern werden in 26 Sportarten teilnehmen. Darunter 356 Athletinnen und Athleten aus Deutschland.
Am 17. Juni beginnen die Special Olympics World Games 2023 in Berlin. Bei dieser Sportveranstaltung geht es um viel mehr als Bestzeiten und Medaillen – nämlich um die Anerkennung und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung. Wir haben mit Athletinnen und Athleten sowie Verantwortlichen über Inklusion gesprochen – und welche Rolle der Sport dabei spielt.
Die letzten Vorbereitungen laufen
Die Kanutinnen und Kanuten des deutschen Teams holen sich bei der Kanu-Gesellschaft in Stuttgart den letzten Feinschliff für das Großereignis. An Motivation mangelt es bei keinem der acht Athletinnen und Athleten sowie ihren vier Unified Partnern. Sie können es auch nach dem Krafttraining kaum abwarten, die Boote wieder aufs Wasser zu setzen und loszupaddeln. Hier findet die Inklusion mitten auf dem Neckar statt.
„So kurz vor dem Wettbewerb ist das Training richtig hart und spezifisch“, sagt Nina Voll. Die 25-Jährige stammt aus Stuttgart, die ortsansässige Kanu-Gesellschaft ist sozusagen ihr zweites Zuhause. Mindestens einmal in der Woche kommt sie her, um ein paar Runden zu drehen. „Wenn keine Wettbewerbe anstehen, machen wir auch mal eine entspannte Ausfahrt“, sagt sie. Dann geht sie auch gerne in die Boulderhalle. Wenn sie nicht gerade Sport treibt, arbeitet sie als Garten- und Landschaftsgärtnerin bei der Gartenbaufirma Cohrs im Stuttgarter Umland. Genau wie hier, können auch in vielen anderen Handwerksbetrieben Menschen mit und ohne Behinderung problemlos gemeinsam arbeiten.
Aktuell gilt ihre volle Konzentration jedoch dem anstehenden Sportereignis. Die Motivation ist im Moment besonders hoch. Es stehen Startübungen an. Dabei kommt es darauf an, möglichst schnell Fahrt aufzunehmen. Anschließend folgen ein paar Zielsprints. „Das ist das Beste“, sagt Nina Voll, „sich auf den letzten 100 Metern Kopf an Kopf mit einer Kontrahentin zu messen.“
Auch hier gilt: Dabei sein ist alles
Bei den Special Olympics steht die sportliche Leistung nicht an erster Stelle. „Wir wollen einfach unser Bestes geben“, sagt Ante Miletic aus Bretten in Baden-Württemberg. Im Vordergrund steht der Spaß. Jedoch wird auch schnell klar, dass die Teilnehmenden mit großem Ehrgeiz bei der Sache sind. „Dabei sein ist alles“, zitiert Ante Miletic den olympischen Gedanken, „jedoch würde natürlich jeder von uns gerne gewinnen.“
Allein mit der Teilnahme an den Special Olympics World Games haben sie ein großes Ziel bereits erreicht. „Für viele von uns ist das eine einmalige Gelegenheit“, sagt Nina Voll. Die Qualifikation verläuft ganz ähnlich wie die für die Olympischen Spiele: Es gibt regionale Wettbewerbe, über die sich die Sportlerinnen und Sportler für die nationalen Spiele qualifizieren können. Wer dort gut abschneidet, darf an den Weltspielen teilnehmen.
Die Special Olympics
Bis zum Jahr 1968 gab es gar keine strukturellen Sportmöglichkeiten für Menschen mit geistiger Behinderung. Eunice Kennedy-Shriver, die Schwester des US-Präsidenten John F. Kennedy rief die Special Olympics damals für ihre ältere Schwester Rosemary ins Leben. Es ist die einzige Organisation, die vom IOC, dem Internationalen Olympischen Komitee, die Erlaubnis erhalten hat, den Ausdruck Olympics im Namen zu tragen. 1991 wurde der deutsche Special-Olympics-Verband gegründet. 1998 fanden die ersten nationalen Wettbewerbe in Deutschland statt. Damals in Stuttgart gingen immerhin 1.000 Athletinnen und Athleten an den Start. Im Juni werden es mehr als 7.000 sein. Dazu haben sich mehr als 20.000 Menschen als freiwillige Helfer gemeldet.
Zum deutschen Team gehören 356 Athletinnen und Athleten sowie 59 Unified Partnerinnen und Partner (ohne Behinderung). Damit stellt die gastgebende Nation auch die größte Delegation der Weltspiele.
Die meisten Vorurteile sind unbegründet
„Leider haben noch immer nicht alle Vereine gemerkt, dass die Vorurteile unbegründet sind“, sagt Sebastian Fabian, Bundestrainer der Kanuten. Bei der Kanu-Gesellschaft in Stuttgart gibt es das Angebot für behinderte Sportlerinnen und Sportler bereits seit über 25 Jahren. Ins Leben gerufen haben es Eberhard Wahl und Doris Kretschmar in Kooperation mit der Caritas. Seit 15 Jahren ist Bettina Bürk mit im Boot. Sie ist gleichzeitig die Trainerin des Special-Olympics-Teams.
„2010 waren wir erstmals bei den nationalen Special Olympics dabei“, erinnert sie sich. „Da haben wir gar nicht gut abgeschnitten.“ Also trieb sie das Angebot voran. „Ich bin Spießrouten gelaufen“, sagt sie, da es damals auch Vorbehalte gab. Ihr Ziel, Menschen mit und ohne geistige Behinderung gemeinsam trainieren zu lassen, kam nicht bei jedem im Verein gut an. Diese Hürden sind gefallen, die Vorurteile verschwunden. Das Training wurde immer besser angenommen.
Bettina Bürk ist die Trainerin der Kanutinnen und Kanuten des deutschen Special-Olympics-Teams. Auch bei der Stuttgarter Kanu-Gesellschaft engagiert sie sich seit mehr als 15 Jahren dafür, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Sport machen.
Heute geht alles Hand in Hand. „Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch etwas gut kann. Im Sport lässt sich das ganz einfach herausfinden und verbessern“, sagt sie. Und durch die gemeinsamen Erfolge und Fortschritte im Sport steigen Interaktion und Selbstvertrauen. „Das schafft Verbindungen.“
Erfolge im Sport steigern das Selbstbewusstsein
Die Rolle, die der Sport bei der Inklusion spielt, ist nicht hoch genug einzuschätzen. „Der Sport hat die Kraft dazu, Barrieren in den Köpfen einzureißen“, sagt Sven Albrecht, Bundesgeschäftsführer und Vorstandsmitglied von Special Olympics Deutschland. Oder wie es Sebastian Fabian ausdrückt: „Sport hat die Kraft, um die Welt zu verändern.“
Auch in vielen anderen Vereinen trainieren die Special Olympics Athletinnen und Athleten gemeinsam mit den anderen. Das ist gelebte Inklusion. Im Sport sind alle Menschen gleich. „Wir haben einige Sportlerinnen und Sportler, die trainieren seit einigen Jahren in einem Verein. Es macht Spaß zu sehen, wie diese sich nicht nur im Sport, sondern zum Beispiel auch menschlich weiterentwickelt haben“, sagt Fabian.
Im Trainingslager herrscht beste Laune: Nina Voll (links) und die anderen Kanutinnen und Kanuten können es kaum erwarten, wieder aufs Wasser zu gehen.
Nur gemeinsam erreichen wir das Ziel
Auf dem Neckar wird das besonders deutlich. Es gibt Kanus für eine oder für zwei Personen. Die Konstellationen sind unterschiedlich. Manchmal sitzen zwei Menschen mit und ohne Behinderung gemischt in einem Boot. Das sind dann die sogenannten Unified Partner. Um vorwärtszukommen, müssen beide den gleichen Rhythmus einschlagen. Sonst werden sie ihr Ziel nie erreichen.
„Paddelt einer links und einer rechts, dreht man sich im Kreis“, sagt Eva-Maria Bittner. Im schlimmsten Fall kentert das Boot. Als Anfänger kann das schnell passieren. Die Brandenburgerin hat im Laufe der Jahre gemerkt, dass Wassersport genau ihr Ding ist. Davor hatte sie alle möglichen Sportarten ausprobiert. Von Laufen über Tischtennis bis hin zu Kanu.
„Der Sport tut mir gut und ich freue mich auf jedes Training“, sagt Ante Miletic. Er macht das bereits seit über 30 Jahren. „Die Bewegung ist gut für meine Fitness“, betont er. Es ist ein perfektes Work-out. Deshalb kann er jedem Menschen nur diesen Tipp geben: „Regelmäßig Sport an der frischen Luft zu treiben, ist einfach toll.“
Das reicht ihm als Motivation. Zudem hat der Sport ihm ermöglicht, die schönsten Seiten der Welt kennenzulernen. „Wir kommen im Training und den Wettbewerben viel herum“, sagt er. Auf und neben dem Wasser.
Wer darf teilnehmen?
Um an den Wettbewerben der Special-Olympics-Bewegung teilnehmen zu dürfen, wird ein Startpass benötigt. Damit wird zum einen die Tauglichkeit zum Sport einer Person sichergestellt. Zum anderen wird darin auch die Art der geistigen Behinderung dokumentiert. Alle zwei Jahre muss dieser Pass erneuert werden.