Diabetes-Forschung: Wie lange müssen Menschen noch Insulin spritzen?

Redaktion
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Für Millionen Menschen weltweit ist es die einzige Möglichkeit, ihre Diabetes-Erkrankung in den Griff zu bekommen: Sie müssen sich täglich Insulin spritzen. Doch die Forschung macht ihnen Hoffnung, dass sich das in Zukunft ändern könnte.

Fast neun Millionen Menschen in Deutschland leiden an Diabetes. Die meisten von ihnen sind an Typ-2-Diabetes erkrankt. Nur etwa 400.000 Menschen sind von Typ-1-Diabetes betroffen.

Menschen mit Typ-1-Diabetes leiden an einer Autoimmunerkrankung. In ihrer Bauchspeicheldrüse wird nicht ausreichend Insulin produziert. Ein Hormon, das die Aufnahme von Zucker aus dem Blut in die Körperzellen ermöglicht. Durch einen Insulinmangel steigt der Blutzuckerspiegel. 

Hingegen besteht beim Typ-2-Diabetes eine Insulinresistenz, also eine fehlende Insulinwirkung, kombiniert mit einer nicht ausreichenden Insulinfreisetzung aus der Bauchspeicheldrüse.

Um den Blutzuckerspiegel auszugleichen, müssen sehr viele Diabetikerinnen und Diabetiker Insulin zuführen. Dieses müssen sie sich selbst ins Unterhautfettgewebe spritzen. „Heutzutage passiert das klassischerweise nicht mehr mit einer Spritze, sondern einem sogenannten Pen“, erklärt Dr. Guido Freckmann. Als Vorsitzender der AG Diabetes und Technologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) beschäftigt er sich mit den technologischen Fragen rund um die Krankheit.

Insulin – ein Durchbruch in der Medizin

Besonders zu Beginn erfordert es Überwindung, sich selbst eine Spritze zu setzen. Für viele Betroffene ist es zudem sehr unangenehm, das in der Öffentlichkeit zu tun. Deshalb fragen sie sich, ob die Krankheit in Zukunft auch auf anderem Wege behandelt werden kann – und wann der Abschied von der Insulinspritze kommt.

Die Entdeckung von Insulin vor mehr als 100 Jahren gilt als Durchbruch in der Medizin. Damit wurde Diabetes mellitus Typ 1 zu einer behandelbaren Krankheit. Bis dahin war diese fast immer tödlich verlaufen.

Denn einer der größten Unterschiede zwischen den beiden Formen der Krankheit ist: Typ-2-Diabetes ist in der Regel auch ohne die Zugabe von Insulin, in vielen Fällen sogar ganz ohne Medikamente, behandelbar. Für Betroffene mit Typ-1-Diabetes ist die Zugabe des Hormons dagegen überlebensnotwendig.

„In den vergangenen Jahren hat die Forschung schon große Fortschritte gemacht“, sagt Professor Dr. med. Karsten Müssig, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Diabetologie am Franziskus-Hospital Harderberg der Niels-Stensen-Kliniken und Experte der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE).

Betroffene haben heute bereits ganz andere Möglichkeiten als noch vor 20 Jahren. Und beide Experten sind sich zudem einig: Die Wahrscheinlichkeit, dass es in den nächsten Jahren weitere Möglichkeiten gibt, sind hoch. „Ich schaue positiv in die Zukunft“, betont Prof. Dr. Müssig. „Denn es gibt viele vielversprechende Forschungsarbeiten.“

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Diabetes Typ 2: Auch ohne Medikamente gut behandelbar

Es gibt bereits eine ganze Bandbreite an Alternativen zur Insulinspritze. Das gilt zwar vor allem für den Typ-2-Diabetes, jedoch nicht ausschließlich.

„Es gibt kaum eine Erkrankung, die man auch ohne Medikamente so gut behandeln kann wie Typ-2-Diabetes“, sagt Prof. Dr. Müssig. Die Erkenntnisse aus der Forschung und dem Alltag vieler Betroffener sind eindeutig: Mit einer Lebensstiländerung, die durch eine ausgewogene Ernährung und regelmäßiger Bewegung zu einer Gewichtsreduktion führt, lässt sich die Krankheit mindestens sehr gut in den Griff bekommen. „Es gibt Studien, die belegen, dass bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, die bereits seit fünf oder mehr Jahren erkrankt sind, die Krankheit wieder vollständig verdrängt werden konnte“, erklärt der Experte.

Früher hat man Typ-2-Diabetes gerne als „Altersdiabetes“ bezeichnet. Diesen Begriff hält Prof. Dr. Karsten Müssig jedoch für überholt. „Inzwischen weiß man, dass es nicht zwingend mit dem Alter zu tun hat.“ Stattdessen viel mehr mit dem Lebensstil der Person. „Auch zunehmend jüngere Menschen bekommen diese Krankheit.“ Das hängt mit dem zunehmenden Übergewicht, an dem große Teile der Gesellschaft leiden, zusammen.

Behandlungsmöglichkeiten bei Diabetes

Zur Behandlung von Diabetes gibt es inzwischen viele Möglichkeiten. „Es gibt sehr viele Alternativen, mit denen Insulintherapien verbessert, vermieden oder hinausgezögert werden können“, sagt Prof. Dr. Karsten Müssig.

  • Langzeitinsulin:

    Neben den schnellwirkenden Insulinen gibt es inzwischen eine ganze Bandbreite an lang wirkenden Insulinen. Diese halten den Blutzuckerwert für viele Stunden stabil. Im Frühjahr 2024 wurde in Europa das erste sogenannte Wocheninsulin zugelassen. Dessen Wirkung hält bis zu einer Woche an. „Das vereinfacht die Behandlung natürlich immens“, sagt der Mediziner. Insbesondere für Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht selbst spritzen können und bei denen diese Aufgabe Angehörige oder ein Pflegedienst übernehmen.

  • GLP-1-basierte Therapie:

    Die sogenannten GLP-1-Rezeptoragonisten ahmen das körpereigene Darmhormon Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) nach. Dieses Hormon stimuliert in der Bauchspeicheldrüse die Ausschüttung von Insulin. Die bekanntesten Wirkstoffe sind Semaglutid und Liraglutid. Sie sind insbesondere als Wirkstoffe der sogenannten Abnehmspritzen bekannt geworden. „Diese Medikamente sorgen dafür, dass der Blutzucker sehr effektiv abgesenkt wird“, erklärt der Experte. Zugelassen sind GLP-1-Rezeptoagonisten für die Behandlung des Typ-2-Diabetes. Der Nachteil: Auch sie müssen aktuell gespritzt werden. Zudem befinden sie sich noch nicht lange auf dem Markt, weshalb es noch wenige Erkenntnisse zu Langzeit-Nebenwirkungen gibt.

  • SGLT-2-Hemmer:

    Sie wirken harntreibend und sorgen dafür, dass vermehrt Zucker über den Urin ausgeschieden wird. Dadurch sinkt der Blutzuckerspiegel. Sie werden einmal täglich als Tablette unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen. Auch diese Medikamente sind für die Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes zugelassen. 

  • Insulinpumpe:

    Eine Insulinpumpe ahmt die Bauchspeicheldrüse nach. Die Person trägt sie eng am Körper. Über einen Schlauch gibt die Pumpe rund um die Uhr kleine Mengen Insulin ab. Zu den Mahlzeiten kann die Abgabe manuell per Knopfdruck verstärkt werden.

  • Automatisierte Insulin-Dosierungs-Systeme:

    Eine Weiterentwicklung der klassischen Insulinpumpe. Die automatisierten Insulin-Dosierungs-Systeme (oder kurz AID für Automatisierte Insulin Dosierung) sind der neueste Stand der Technik und werden gerne als „künstliche Bauchspeicheldrüse“ bezeichnet. Die sogenannten Closed-Loop-Systeme (in etwa: „in sich geschlossener Kreislauf“) bestehen aus einem Sensor zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) im Unterhautfettgewebe, einem Blutzuckermessgerät zur Kalibrierung des Sensors, einer Insulinpumpe sowie einem Computerprogramm, das die Steuerung der Pumpe übernimmt. Alle Geräte kommunizieren drahtlos miteinander. Sinkt der Glukosewert, reduziert die Pumpe die Insulinzufuhr und vermeidet so eine Unterzuckerung, bei einem hohen Glukosewert wird mehr Insulin verabreicht. „Der Blutzucker wird automatisch so gut reguliert, dass die Person nicht mehr viel eingreifen muss.“ Bei Notfällen ist dies aber weiterhin möglich.

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An welchen Behandlungsmöglichkeiten wird gerade geforscht?

Darüber hinaus gibt es eine ganze Bandbreite an aktuellen Projekten aus Forschung und Entwicklung, deren Ziel es ist, Diabetes irgendwann so behandeln zu können, dass Betroffene ganz ohne Hilfsmittel leben können.

  • Stammzellforschung:

    Bereits seit Jahrzehnten wird darüber gesprochen, dass mit Hilfe der Stammzelltherapie sogar die Heilung irgendwann ganz möglich sein wird. Die Forschung basiert darauf, dass mithilfe von Stammzellen neue insulinproduzierende Beta-Zellen hergestellt werden sollen. „Diese Forschung ist allein schon deshalb interessant, weil sie das Problem an der Wurzel anpackt“, sagt Prof. Dr. Karsten Müssig. Bereits seit über 20 Jahren werde daran geforscht. „Seither gab es immer mal wieder einen großen Durchbruch. Dennoch ist ein klinischer Einsatz dieser Methode bis heute noch nicht verfügbar“, ergänzt Dr. Guido Freckmann.

  • Inselzellentransplantation:

    Was es dagegen bereits seit 50 Jahren in der Praxis gibt, ist die Inselzellen-Transplantation. In Deutschland beispielsweise am Dresdener Universitätsklinikum. Dabei werden insulinproduzierende Zellen aus der Bauchspeicheldrüse einer Spenderin oder eines Spenders entnommen und in die Leber der Empfängerin oder des Empfängers übertragen. Das ist jedoch mit großem Aufwand und möglichen Komplikationen verbunden. Damit die transplantierten Zellen nicht abgestoßen werden, muss das Immunsystem unterdrückt werden. Die sogenannte Immunsuppression ist oft mit unerwünschten und teils gravierenden Nebenwirkungen verbunden. „Deshalb wird diese Methode nur in sehr speziellen Fällen angewandt“, erklärt Dr. Guido Freckmann.

  • Transplantation per Kapsel:

    Neuere Forschungsmethoden arbeiten an einer Weitergabe der Inselzellen per Kapsel. Die Zellen werden in eine Kapsel eingepackt und damit geschützt. Das Immunsystem erkennt sie dann nicht als Fremdgewebe und greift sie deshalb nicht an.

  • Insulin-Tabletten:

    Seit Jahren wird zudem an der Entwicklung von Insulin-Tabletten oder -Kapseln gearbeitet. Das würde die Einnahme wesentlich erleichtern. Das Problem: Der Magen zersetzt den Wirkstoff. Damit dieser an den richtigen Stellen im Darm angelangt, müsste die Dosierung um ein Vielfaches höher sein als bei einer Spritze. „Den großen Durchbruch hat es dabei noch nicht gegeben“, sagt Dr. Guido Freckmann.

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Wann kommt der Abschied von der Insulinspritze?

Beide Experten sind sich einig: In den vergangenen Jahren hat die Therapie von beiden Diabetes-Typen bereits große Fortschritte gemacht. Und: In den nächsten Jahren wird die Entwicklung weitergehen. Insbesondere, was Insulinsysteme angeht. „Da bieten die technischen Neuerungen einfach ganz andere Möglichkeiten“, erklärt Prof. Dr. Karsten Müssig.

Zudem sind beide Mediziner davon überzeugt, dass in der Stammzellforschung irgendwann der große Durchbruch gelingen wird. Wann das sein wird – und wie viele Jahre es anschließend dauert, bis die breite Masse der Betroffenen eine Zellerneuerung bekommen könnte, darüber möchten sie keine Prognose abgeben.

Die Insulinspritze ist kostengünstig und effizient

Es gibt gute Gründe dafür, weshalb die Insulinspritze insbesondere bei Menschen mit Typ-1-Diabetes die am häufigsten gewählte Therapieform ist. „Zum einen ist sie die kostengünstigste Methode“, sagt Dr. Guido Freckmann. „Zum anderen hat sich in der Entwicklung der Spritzen vieles getan.“

Die Vergabe erfolgt heutzutage meist über einen Pen. Das Wort Spritze hat sich jedoch im Volksmund wacker gehalten. „Die Nadeln sind viel kürzer und dünner als früher. Das spürt man kaum noch.“ Zumindest dann, wenn Betroffene sich nicht regelmäßig in dieselbe Stelle spritzen.

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Veröffentlicht am 13.09.2024

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